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Die Geschichte eines besonderen Lambo

Der blaue Miura wurde einst vom Schweizer Unternehmer Otto Wild gefahren. Der Wagen hat eine bewegte Geschichte hinter sich – und fährt noch immer auf heimischen Strassen.

Der Unternehmer Otto Wild aus dem aargauischen Muri muss eine spannende Persönlichkeit gewesen sein. Schon 1927 liess er sein erstes Unternehmen ins Handels­register ein­tragen, die Otto Wild AG für die Fabri­kation von Teilen für Eisen-, Kessel- und Maschinenbau. Unmittelbar nach Kriegsende trat der Unter­nehmer auf BMW bei verschiedenen Berg­rennen an. Doch er wollte mehr, bestellte einen der ganz neuen Ferrari 340 America.

Wild wollte mit seinem neuen Ferrari 1951 bei der Mille Miglia antreten, doch das Fahrzeug  wurde nicht rechtzeitig fertig. Er fuhr noch ein paar Bergrennen mit seinem auffälligen Wagen, bestellte sich 1953 einen weiteren Ferrari, einen 342 America, verkaufte den 340 an seinen Schwager Ernst Hafner – weil er sich einen neuen Mercedes 300 SL anschaffen wollte.

Wild fährt den Wagen ein

Und warum erzählen wir all dies, wenn es doch hier um einen Lamborghini Miura gehen soll? Es soll aufgezeigt werden, dass Otto Wild über einen ausgezeichneten automobilen Geschmack verfügte. Denn er war es auch, der am 16. Juli 1968 beim damaligen Lamborghini-Importeur Karl Foitek den von ihm bestellten blauen Miura abholte. Wild bezahlte 58 000 Fr., handelte aber mit Foitek noch einen ­besonderen Deal aus: Er konnte das Fahrzeug binnen zwölf Monaten zurückgeben, wenn es weniger als 10 000 Kilometer auf der Uhr hatte. Tatsächlich nahm Wild diese Option Ende März 1969 in Anspruch – und tauschte den blauen Miura gegen den metallicgrünen Miura P400 S mit Chassisnummer 4003 ein. Mit dem er kurz darauf einen Unfall hatte – und sich deshalb schon im Dezember 1969 den nächsten Miura anschaffte.

Der erste Miura von Wild ging also an Foitek zurück. Doch der umtriebige Österreicher hatte bereits einen Kunden zur Hand, den Bieler Rolf Tschudin, der wiederum einen 66er Ferrari 330 GT eintauschen wollte. Foitek verlangte für den Miura 46 200 Fr., bezahlte für den Ferrari 22 000 Fr. Tschudin behielt den Lam­borghini drei Jahre, dann wechselte die Nummer 3604 über Foitek wieder den ­Besitzer und ging Ende 1972 an einen Thomas Maier, wohnhaft im luzernischen Rickenbach. Und dann – nichts mehr, fast fünfzig Jahre lang bleibt das Fahrzeug zwar in der Schweiz, aber verschwunden. Um vor wenigen Wochen wie der Phoenix aus der Asche aufzutauchen.

Es ranken sich so viele Geschichten um den Miura. Der erste Prototyp, Chassisnummer 0502, wurde an einem Rotlicht von einem Lastwagen überfahren. Das fünfte Exemplar, Chassisnummer 0979, kam als erster Miura in die USA. Dort wurde er vom saudi-arabischen Prinzen Turki ibn Faisal gekauft – der dann so überstürzt aus Amerika abreisen musste, dass er den Miura mit laufendem Motor und seinem Chinchilla-Pelzmantel auf dem Beifahrersitz vor dem Flughafen stehen liess. Und ihn nie abholte.

Oder da war der einst berühmte griechische Sänger Stamatis Kokotas, der von Aristoteles Onassis einen Miura geschenkt erhielt, diesen so schnell und heftig bewegte, dass der Motor explodierte, das Fahrzeug darauf in die Tiefgarage des Hotel Hilton in Athen stellte – und über dreissig Jahre lang vergass. Es gab Miura, die fielen in Flüsse, mit einem anderen bretterte ein früherer Kampfpilot durch die afrikanische Savanne, mehr als einer musste verkauft werden, damit der Besitzer die Scheidung bezahlen konnte. Unter den Besitzern waren Drogenhändler, Opernsängerinnen, Rennfahrer, Filmstars

Wie Mythen entstehen

All dies passt zu einem der wohl faszinierendsten Sportwagen aller Zeiten. Um seine Entstehung ranken sich auch ganz viele Mythen, wie ja auch schon der Aufstieg von Ferruccio Lamborghini vom Heizkessel-, Klimaanlagen- und Traktorenproduzenten zum Autohersteller nicht wirklich geradlinig verlief. Es gibt manche Version der Geschichte, wie Lamborghini zu den Autos kam. Als im November 1961 die halbe Führungsriege Ferrari verliess, sah er seine Chance – um dann in den zwei folgenden Jahren am eigenen Por­temonnaie zu spüren, dass es gar nicht so einfach war, ein anständiges Automobil zu konstruieren. Der erste Versuch, der 350 GTV, war gar nichts, erst der 350 GT von 1964 funktionierte.

Es soll aber schon Anfang des Jahres 1965 gewesen sein, als sich der damals 29-jährige Gian Paolo Dallara, Chefkonstrukteur bei Lamborghini, der gleichaltrige Paolo Stanzani, Assistent von Dallara und Produktionsleiter bei Lamborghini, und der Neuseeländer Bob Wallace, Renn- ­sowie Testfahrer bei Lamborghini, eines schönen Feierabends zusammensetzten und das Layout eines neuen Sportwagens zeichneten. Noch nie hatte jemand auch nur im Ansatz versucht, so ein Fahrzeug auf die Strasse zu bringen.

In erster Linie ging es um den Einbau des Motors: Nicht vorne in Längsrichtung sollte der bekannte 3,9-Liter-V12 liegen, sondern in der Mitte, noch vor der Hinterachse, quer. TP nannten die drei jungen Enthusiasten diese Konstruktion, transversale posteriore. Die Maschine lag so nah an der Schottwand zum Passagierraum, dass die beiden Passagiere den ­Motor riechen konnten. Das Trio baute ein Rolling-Chassis. Ein Gehäuse, in dem Kupplung, ein selbst entwickeltes Fünfganggetriebe und ein ZF-Differenzial untergebracht waren, wurde direkt an den Motor angeflanscht und zusammen mit dem Kurbelgehäuse des Motors gegossen. Die Schaltzüge des Getriebes verliefen durch den Motorblock. Motor, Getriebe und Differenzial wurden aus derselben Ölwanne geschmiert. Bei mindestens drei Miura-Modellen hat sich die Kurbelwelle noch gegen den Uhrzeigersinn gedreht.

Den Unterbau bildete eine selbsttragende Konstruktion mit einem Radstand von nur 2,46 Metern, die im Bereich des Passagierraums ein Monocoque bildete. Der Kenner erkannte sofort, dass da die Luftfahrt einen grossen Einfluss hatte. Das Fahrwerk mit den doppelten Dreiecks­querlenkern, Federbeinen, Stabilisatoren vorne und hinten sowie Scheibenbremsen rundum wurde unverändert vom 350 GT übernommen. Neu war einzig eine moderne Zahnstangenlenkung.

Bertone darf designen

Der V12 selbst erhielt vier Fallstrom-Dreifachvergaser von Weber. Bei 7000/min kam die Maschine auf 350 PS. Als Dallara, Stanzani und Wallace dieses Rolling-­Chassis im Sommer 1965 erstmals Fer­ruccio Lamborghini vorstellten, war der zwar nicht begeistert von der Eigen­initiative, doch er erkannte das Potenzial des Tipo 105, wie er den Entwurf in die ­Bücher eintragen liess.

Im Herbst 1965 stand das Rolling-Chassis auf der Turiner Motorshow. Wie viele Vorbestellungen es gab, weiss man nicht mehr, doch der Publikumserfolg ermunterte Lamborghini, für den Tipo 105 einen Designer zu suchen. Den Zuschlag erhielt Nuccio Bertone. Was dieser dem Rolling Chassis überstülpte, war mindestens so sensationell wie die Konstruktion des unterdessen P400 genannten ­Wagens. Binnen nur vier Monaten entstand nicht nur das Design, sondern in Grugliasco bei Turin auch die Karosserie, die zum grössten Teil aus Alu gefertigt wurde. Fertig wurde der erste Wagen erst wenige Tage vor dem Genfer Salon 1966. Der Miura ist sicher eines der schönsten, aufregendsten, herrlichsten Fahrzeuge aller Zeiten. 4,36 Meter lang, 1,76 Meter breit und nur 1,05 Meter hoch – ein Traum, auch heute noch. Beim Serienmodell ­betrug der Radstand 2,5 Meter.

Dallara und Stanzani hatten das Lamborghini-Werk in Sant’Agata unterdessen auf ein Qualitätsniveau gebracht, das es in der italienischen Automobilindustrie vorher noch nie gegeben hatte. Die Miura waren zwar delikate Maschinen, doch der V12 war standfest, die Verarbeitung sauber.

Viel Platz hatte man aber nicht im Miura, nur wenige Zentimeter hinter dem Ohr des Fahrers befand sich die ­Auslassnockenwelle – das Vieh machte ­gigantischen Lärm. Etwas optimistisch nannte Lamborghini ein Leergewicht von unter 1000 Kilogramm, einen Wert von 5 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h und eine mögliche Höchst­geschwindigkeit von 300 km/h.

Gerechnet mit fünfzig Stück

Vom P400 wurden zwischen 1966 und 1969 offiziell 474 Exemplare gebaut – ein grossartiger Erfolg. Ferruccio Lamborghini hatte mit maximal fünfzig Stück ­gerechnet. Die Version S wurde im November 1968 auf der Turiner Motorshow präsentiert und kurz darauf auf den Markt gebracht. Sie ist äusserlich an den verchromten Scheibenrahmen erkennbar, die Scheiben liessen sich jetzt elektrisch versenken, aber nur gegen Aufpreis. Unter dem Blech gehörten die jetzt innenbe­lüfteten Scheibenbremsen, die überarbeitete Hinterachse, ein steiferes Chassis und stärkere Antriebswellen zu den wichtigsten Veränderungen.

Doch vor allem erhielt der P400 S mehr Leistung, 370 PS. Auf dem Genfer ­Salon 1971 stand der P400 SV mit weiter gesteigerter Leistung: 385 PS bei 7850/min. Von aussen sind die sehr begehrten SV am Wegfall der Augenwimpern rund um die Scheinwerfer erkennbar sowie an den sanft ausgestellten, hinteren Kotflügeln. Der Lamborghini Miura P400 mit der Chassisnummer 3604, noch ein­gefahren Ende der Sechziger von Otto Wild, steht bei der Oldtimer Galerie in ­Toffen zum Verkauf.