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Die Grenzen des BIP

In der Ökonomie dauert es oft lange, bis die Zahlen stimmen. Doch auch dann ist sie mit der Präzision der Uhrmacher nicht vergleichbar.

Wirtschaft ist keine exakte Wissenschaft. Das zeigt sich bei der Frage, ob sich die Vereinigten Staaten in einer Rezession befinden oder nicht. Für eine Rezession spricht die Wirtschaftsleistung, gemessen am realen Bruttoinlandprodukt (BIP).

In den ersten beiden Quartalen des Jahres ist die wirtschaftliche Leistung gegenüber dem jeweiligen Vorquartal gesunken – was der Textbuchdefinition einer Rezession entspricht. Ob sich die USA deswegen nun aber in einer Rezession befinden, ist alles andere als klar, denn es gibt valable Argumente, die dagegen sprechen. 

Erstens, weil das Gremium im National Bureau of Economic Research (NBER), das für das Ausrufen einer Rezession zuständig ist, sich noch nicht gemeldet hat. Das NBER sieht noch keinen «deutlichen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit, der sich über die gesamte Wirtschaft erstreckt und länger als ein paar Monate andauert» – also beispielsweise inklusive eines schwächelnden Privatkonsums sowie eines sich verschlechternden Arbeitsmarktes. Zweitens weist das Bruttoinlandeinkommen (BIE) keinen Rückgang aus – im Gegensatz zum BIP. Wie kann das sein?

Über Ausgaben und Einnahmen

Das Bruttoinlandprodukt und das Bruttoinlandeinkommen messen im Prinzip dasselbe: die wirtschaftliche Leistung. Das BIP fokussiert dabei auf die Ausgabenseite. Es addiert die Staatsausgaben (G), die Unternehmensausgaben (I), den Privatkonsum (K) sowie die Exporte (EX) abzüglich der Importe (IM).  Das BIE fokussiert hingegen auf die Einnahmeseite. Es addiert Lohnzahlung, Kapitaleinkommen, Mietertrag, Unternehmensgewinn, Steuern und subtrahiert die Subventionen. 

Im Prinzip müssen sich Ausgaben und Einnahmen die Waage halten. Wie das Bureau of Economic Analysis (BEA) schreibt, sind diese Messgrössen «vom Konzept her gleichwertig». Aufgrund von Unterschieden in den Quelldaten weichen sie aber normalerweise voneinander ab, wie das BEA ergänzt. Das bestätigt die historische Entwicklung. 

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Während die beiden Grössen oft nicht deckungsgleich sind, ist der momentane Unterschied bemerkenswert. Die Differenz zwischen den beiden Grössen hat nicht nur absolut – also in Mrd. $ gemessen – einen Rekordwert erklommen, sondern auch relativ zum BIP. Für das zweite Quartal betrug die Abweichung 774 Mrd. $, was 3,9% des BIP ausmacht. Im Median seit der Datenerhebung 1947 beträgt die Differenz 0,7%.

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Ausserordentlich in der aktuellen Situation ist zudem, dass das BIE im ersten Halbjahr zugelegt hat, während das BIP gesunken ist. Im ersten Quartal wies das BIP annualisiert gegenüber dem Vorquartal einen Rückgang von 1,6% aus und im zweiten Quartal ein Minus von 0,6%.  Das BIE hingegen ist im ersten Quartal annualisiert 1,8% gewachsen und verzeichnete im zweiten Quartal ein Plus von 1,4%. 

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Das BEA bezeichnet die Differenz als «statistische Abweichung». Um die Differenz aus der Welt zu schaffen, hat das BEA noch eine dritte Messgrösse auf Lager. Der Bruttoinlandoutput (BIO) addiert das BIP und das BIE und dividiert die Summe durch zwei.  Gemäss dem BIO wuchs die amerikanische Wirtschaft im ersten sowie im zweiten Quartal. Wenn auch, mit einem Plus von 0,1% und 0,4%, nur ganz knapp. 

BIO und BIE schlagen BIP

Neu ist die Diskussion um das BIP und das BIE nicht. Bereits 2015 schrieb der Council of Economic Advisors, dass das BIO ein «besserer Indikator für die neuesten Schätzungen des Wirtschaftswachstums ist als das BIP oder das BIE für sich alleine genommen».

Die Erfahrung der Finanzkrise 2008/09 zeigt zudem, dass das BIE ein besserer Echtzeitindikator ist für die konjunkturelle Entwicklung. Während des Einbruchs zum Beginn der Finanzkrise brachten Revisionen beim BIP und beim BIE das BIP näher zum BIE. 

Entsprechend ist es gut möglich, dass die Zahlen des BIP weiter nach oben revidiert werden. Das war ja bereits nach der ersten Revision der Fall, als das Minus vom zweiten Quartal von 0,9 auf 0,6 reduziert wurde.

Ökonom Michael Pearce von Capital Economics schreibt entsprechend, dass «es wahrscheinlicher ist, dass das BIP deutlich nach oben korrigiert wird, als dass die BIE-Zahlen nach unten korrigiert werden». Aufschluss wird die jährliche Benchmarkrevision vom 29. September geben.  Bei der Revision werden die Werte unter anderen zum BIP und zum BIE vom ersten Quartal 2017 bis zum ersten Quartal 2022 aktualisiert.

Auch Ed Yardeni von Yardeni Research gibt dem BIE mehr Gewicht. «Das BIE ist tendenziell ein genaueres Mass, da das BEA über aktuellere und umfassendere Daten zu den Komponenten des Volkseinkommens verfügt.»  Yardeni würde es darum nicht überraschen, «wenn sich die sogenannte ‹technische Rezession› in der ersten Hälfte dieses Jahres als ein Hirngespinst der vorläufigen Schätzungen herausstellt», wie er schreibt.

Folgen für die Wirtschaft

Der Unterschied zwischen BIP und BIE ist nicht nur eine Spielerei von Ökonomen. Es geht um die grundsätzliche Verfassung der Wirtschaft. Gemessen am BIP notiert die US-Wirtschaft 2,6% über dem Wert von vor der Pandemie. Gemessen am BIE ist sie bereits 6,4% darüber. Wie das BEA nach den Zahlen vom ersten Quartal errechnet hat, ist die Wirtschaftsleistung anhand des BIP noch unter dem Trend von vor der Pandemie, während sie anhand des BIE bereits wieder darüber liegt. 

Die Messgrössen haben laut BEA ebenfalls einen Einfluss auf die Produktivität. Wird das BIP als Basis genommen, war das Produktivitätswachstum während der Pandemie in etwa so gross wie vor der Pandemie. Wird hingegen das BIE als Basis genommen, stieg die Produktivität während der Pandemie deutlich schneller als der Trend zuvor. 

Ein weiterer Aspekt ist die Höhe der Staatsschulden im Privatbesitz gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung. So betragen sie anhand des BIP 96,2%, anhand des BIE 92,5%. 

Weil die Wirtschaft keine exakte Wissenschaft ist, ist die Genauigkeit der Messgrössen entscheidend für das Bild der Konjunktur. Diesbezüglich ist das BIE im Vorteil und weist in den Worten des BEA «auf eine Wirtschaft hin, die besonders schnell wächst, ein höheres Produktivitätswachstum aufweist und einen stärkeren Rückgang der Schuldenlast bewirkt hat». Eine Rezession passt da schlecht ins Bild.