Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Die neue SNB

Alles neu. Die Schweizerische Nationalbank will jetzt Euro und Dollar auch verkaufen, statt wie bisher nur zu kaufen – so schwände der riesige Devisenberg. Als Geldquelle für die Kantone wird die SNB unzuverlässig, nachdem sie bisher erst ein einziges Mal keine Gewinnausschüttung bezahlt hat. Und sie hat sich zaghaft aufgemacht, ihr dreiköpfiges Direktorium breiter einzubetten – dafür ist es höchste Zeit.

Die Zeitenwende in der Geldpolitik beginnt so: «Der Franken ist nicht mehr hoch bewertet.» Das sagt SNB-Präsident Thomas Jordan im Juni in Bern. Davor lautete das Mantra fünf Jahre lang, der Franken sei «hoch bewertet». Die Änderung sagt nicht viel aus über den Zustand des Frankens, umso mehr aber darüber, wie sich die SNB positioniert.

Das wiederum beeinflusst den Wechselkurs. Mit der Neuausrichtung – und wegen Europas Energiekrise – hat der «nicht mehr hoch bewertete» Franken seit Juni an Wert gewonnen. Der Kurs zum Euro ist von 1.04 Fr./€ unter die Parität auf 0.97 Fr./€ gefallen.

Ursache für die Neupositionierung ist die auf 3,5% gestiegene Inflation. Ihr begegnet die Nationalbank nicht nur mit dem Leitzins, den sie über­raschenderweise bereits im Juni von –0,75 auf –0,25% erhöht hat. Das zweite Instrument ist der Wechselkurs. Ein stärkerer Franken macht importierte Güter und Dienstleistungen günstiger. Das drückt auf das Preisniveau und dämpft die Inflation.

Der gute Währungsmanipulator

Und es funktioniert, wie die Ökonomen von Raiffeisen kalkulieren. Zusätzlich zur Zinserhöhung von 0,5 Prozentpunkten wirke die Aufwertung wie eine Straffung um 1 Prozentpunkt. Dabei lässt die SNB dem Franken nicht nur mehr Leine, wenn er stärker wird. Würde er schwächer, will Jordan «Devisenverkäufe erwägen», um per Aufwertung die Inflation zu mässigen. Schubst die SNB den Franken hoch, ist sie ein Währungsmanipulator.

Dafür steht sie beim US-Schatzamt seit 2016 auf der Überwachungsliste: Die SNB schwäche den Franken zum Vorteil der Schweizer Exporteure. Jordan verteidigte sich, der Exportüberschuss komme von der Pharmabranche und dem Transithandel, während die Maschinenindustrie und der Tourismus unter der Frankenstärke litten. Ziel der Interventionen sei, die Aufwertung zu bremsen, um Deflation und Rezession zu verhindern.

Jetzt manipuliert die SNB umgekehrt, und gegen diese Positionierung wird das US-Schatzamt nichts ­einzuwenden haben. Doch der starke Franken wird den Exporteuren zu schaffen machen. Linderung bringt die hohe Inflation im Ausland. Steigt dort das Preisniveau schnell, können Schweizer Exporteure ihre Preise erhöhen. Zudem ist die Auftragslage gut. Sollte sie sich aber aufgrund einer Rezession in Europa verschlechtern, tritt der Preiswettbewerb in den Vordergrund – und damit der starke Franken. Ihn werden die Exporteure anprangern.

Falls die SNB reagiert, schaut das US-Schatzamt genau hin: Sie würde vom «guten» Währungsmanipulator mit Aufwertung wieder zum «bösen», der den Franken schwächt.

Wegen der neuen «guten» Manipulation mit verkauften Euro und Dollar vermutet die Bank of America, die SNB wolle ihre Devisen­anlagen abbauen und die Bilanz kürzen. Sie ersetze auslaufende Anleihen nicht mehr – wie die US-Notenbank Fed, die so den Langfristzinsen Leine lässt. Doch die SNB verkauft Devisenanlagen nicht zum Bilanzabbau, sondern um den Franken zu stärken. Das Anlagevermögen bleibt riesig, und das Jahresergebnis schwankt heftig. Wertet sich der Franken zu Euro und Dollar 1 Rp. auf, resultieren 7 Mrd. Fr. Verlust.

Im vergangenen Semester ist der Wert der Anlagen empfindlich geschrumpft, primär wegen fallender Kurse von Anleihen und Aktien. Der rekordhohe Halbjahresverlust von 95 Mrd. Fr. ist fast doppelt so gross wie die 50 Mrd. nach dem Frankenschock und viel mehr als die 38 Mrd. in der Pandemie.

Wegen des Verlusts ist die gewohnte Gewinnausschüttung für Bund und Kantone in Gefahr. Um sie zu bezahlen, müsste die SNB im zweiten Halbjahr einen kleinen Gewinn erzielen. Oder es bräuchte einen Kniff.

Buchhaltungskniff für die Kantone

Beim Jahresabschluss bildet die Nationalbank zuerst eine Rückstellung, die das Eigenkapital stärkt. Per Mitte Jahr bedeutet das: Zum Verlust von 95 Mrd. Fr. kommen 10 Mrd. Rückstellungen, das ergibt 105 Mrd. Fr. Demgegenüber ist der Gewinnvortrag vom Vorjahr gut 102 Mrd. Per saldo bleibt ein Minus von knapp 3 Mrd. Fr.

Die Rückstellungen würden gar nie verwendet, um einen Verlust aufzufangen, kritisieren die Wirtschaftsprofessoren Yvan Lengwiler aus Basel und Charles ­Wyplosz aus Genf sowie Stefan Gerlach, Chefökonom EFG-Bank in Zürich und früher Vizepräsident von Irlands Notenbank. Die drei bilden das SNB Observatory und wollen die öffentliche Debatte fördern. Die SNB solle, statt Rückstellungen zu bilden, eine Ausschüttung leisten. Das Fazit: Wenn die SNB für das Geschäftsjahr 2022 nichts ausschütte, «liegt das nicht daran, dass sie nicht kann. Es liegt daran, dass sie nicht will.»

Das Fazit für sich genommen ist korrekt. Doch Rückstellungen sind nötig für mehr Eigenkapital, denn es beträgt nur noch 10% der Bilanzsumme. Die Eigenkapitalquote lag bis zur grossen Finanzkrise über 50%. Den Tiefpunkt von knapp 6% erreichte sie im Sommer 2015 nach dem Frankenschock. Zwar funktioniert Geldpolitik auch ohne Eigenkapital, doch das Parlament würde sich sicherlich einschalten, womit die Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit der SNB litten.

Wie viel Eigenkapital eine Zentralbank braucht, lässt sich nicht objektiv bestimmen. Aber mit 10% steht die SNB schlechter da als Credit Suisse mit 14%. Für eine Vermögensverwaltungsbank gelten 12% als Minimum.

Nach dem Verlust 2013 strich die SNB die Ausschüttung zum allerersten Mal, Bund und Kantone waren schockiert. Erst recht, weil die SNB drei Jahre davor die Rückstellung wegliess, um trotz Verlust zu bezahlen – der Buchhaltungskniff. Ihn sollte sie nicht wiederholen.

Die minime Kommandobrücke

In der Geldpolitik mangle es an Transparenz, moniert das SNB Observatory, nach einem Zinsentscheid sei nur das Endergebnis bekannt. Dazu solle die SNB Szenarien, Alternativen und Kontroversen darlegen. Sie sei unabhängig, müsse aber auch Rechenschaft ablegen – man müsse verstehen, wie sie arbeite. Und das Direktorium sei mit drei Personen zu klein, nötig sei eine breite Basis.

Eine Minireform ausgelöst hat wohl der im Dezember angekündigte Rücktritt von SNB-Vizepräsident Fritz Zurbrügg. Anders als gewohnt liess der Bankrat – der Verwaltungsrat – die Dritte im Direktorium, Andréa ­Maechler, nicht nachrücken. Er suchte auch ausserhalb einen Nachfolger, mit Martin Schlegel wurde dann ein Interner neuer Vize. Im Zuge dessen wurde beschlossen, jedes Direktoriumsmitglied könne nicht nur einen, sondern zwei Stellvertreter haben. Wenn das vollzogen ist, sind im erweiterten Direktorium immerhin neun Personen, was eine vielfältigere Zusammensetzung erlaubt.

Der Prozess für einen geldpolitischen Entscheid mag gut sein, die Kommunikation darüber ist es nicht. Wenn in einem dreitägigen Ablauf mit Präsentationen des Ökonomenstabs breit diskutiert wird, dann sollte die ­Öffentlichkeit davon hören, auch wenn nicht jedes Direktoriumsmitglied seine Meinung publiziert – in den USA ergeben solche gegensätzlichen Äusserungen oft eine Kakofonie. Zu begrüssen sind die neu vier statt zwei Medienkonferenzen pro Jahr. Doch es braucht mehr Information, und dazu gehört ein Sitzungsprotokoll.

Die Unabhängigkeit der SNB ist wertvoll, und gerade darum muss sie mehr Information preisgeben. Etwa wenn die Kantone kein Geld erhalten, weil die SNB ihr Eigenkapital aufbaut, oder wenn die Exporteure leiden, weil sie den Franken als Inflationsbremse einsetzt.