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Grosses Ja für kleine AHV-Reform

Seit einer Generation ist die AHV nicht mehr an die Realität angepasst worden. 1997 wurde unter anderem beschlossen, das Rentenalter der Frauen schrittweise von 62 auf 64 zu erhöhen. Bald, am 25. September, entscheidet das Stimmvolk nach mehreren gescheiterten Anläufen im Parlament und an der Urne über eine Mini-Reform. Auch wenn die Anpassungen überschaubar sind und sie das Finanzierungsproblem der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) lediglich für wenige Jahre entschärfen: Ein Nein zur AHV21 wäre verheerend.

Seit just fünfzig Jahren bewährt sich das Dreisäulensystem der Vorsorge in der Schweiz im Grossen und Ganzen. In dieser Abstimmung geht es einzig um die AHV und nichts anderes. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Vorlagen, die sich vor allem auf die – weniger schmerzhafte – Einnahmenseite konzentrieren, an der Urne eine grössere Erfolgschance haben.

Auch die aktuelle Vorlage ist einnahmenorientiert. 72% der Entlastung der AHV-Finanzen stammen aus einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,3 Prozentpunkte. Der vergleichsweise bescheidene Rest ergibt sich aus einer sanften, in vier Schritten vollzogenen Erhöhung des Rentenalters für Frauen um ein Jahr auf 65 minus lebenslange Kompensationszahlungen für die neun betroffenen Jahrgänge. Von einem Sozialabbau kann keine Rede sein. Kritik hätte, wenn schon, der Umstand verdient, dass auch finanziell gut gebettete Frauen von grosszügigen Kompensationszahlungen profitieren. Das ist reine Geldverschwendung. Diese Mittel liesse man gescheiter wirklich Bedürftigen zukommen.

Massive Umverteilung

Das Referendumskomitee, zusammengesetzt aus Gewerkschaften und linken Parteien, foutiert sich mit fadenscheinigen Argumenten um den mühsam errungenen parlamentarischen Kompromiss. Gerade in der 1948 eingeführten AHV sind Frauen nachweislich nicht benachteiligt: Durch die Aufteilung der Rente verheirateter Partner (Splitting), Erziehungsgutschriften und Zuschläge für Witwen sind die monatlichen Auszahlungen an Mann und Frau in der ersten Säule ähnlich hoch. Mit niedrigerem Rentenalter und höherer Lebenserwartung als Männer sind Frauen seit Jahrzehnten in der AHV vielmehr privilegiert. Es gibt verheiratete Frauen ohne Kinder, die auf eine volle Rente kommen, ohne je erwerbstätig gewesen zu sein.

Ausgeblendet wird von den Gegnern sodann, dass die AHV21 Verbesserungen bringt, die allen zugutekommen, ein flexibleres Rentenalter zwischen 63 und 70 und einen – wenn auch bescheidenen – Anreiz, länger als bis 65 zu arbeiten.

Vor ebenfalls fünfzig Jahren scheiterte eine Volksinitiative der Partei der Arbeit für eine Volkspension an der Urne krachend. Gewerkschaften und Linke hätten heute noch liebend gern nur eine einzige, erste Säule, eine sozialistische Volksrente. Warum, ist klar: Während in der zweiten und der dritten Säule jeder, zwangsweise bzw. freiwillig, für sich selbst spart, ist die AHV sehr «solidarisch» und mit einem wuchtigen Umverteilungsmechanismus von Reich zu Arm ausgestaltet. Bereits ein Jahreslohn ab 86’040 Fr. ist nicht mehr rentenbildend; 92% bezahlen weniger ein, als sie später als Rente erhalten. Für die andern 8% hat das System den Charakter einer Hochlohnsteuer.

Stabilisierung bis 2029

Die AHV sei «solide und verlässlich», lautet eine weitere Behauptung des Referendumskomitees, die «düsteren Prognosen» seien nie eingetroffen. Tatsache ist: Dass das Vorsorgewerk nicht schon heute rote Zahlen schreibt, ist einzig den zusätzlichen 2 Mrd. Fr. aus der Steuerreform und der AHV-Finanzierung (Staf) von 2019 sowie munter sprudelnden Kapitalerträgen im AHV-Fonds zu verdanken. Doch dieses Manna der Börse fällt nicht mehr so einfach vom Himmel. Im Gegenteil, das Anlageportfolio des AHV-Fonds verbucht in diesem Jahr aller Voraussicht nach einen Verlust. Das Umlageergebnis der AHV, also der Saldo von Einnahmen und Ausgaben ohne Kapitalertrag, war schon 1993 bis 1999 und 2014 bis 2019 negativ. «Solide AHV»?

Vor allem aber wiegt der demografische Wandel zunehmend schwer, was sich nicht nonchalant beiseitewischen lässt. Eine niedrige Geburtenrate trifft auf eine stetig steigende Lebenserwartung. Seit der Gründung der AHV 1948 ist sie von 68 auf 83 Jahre geklettert. Der sogenannte Altersquotient hat sich markant verändert: Stand 1970 ein Rentner fünf Erwerbstätigen gegenüber, so sind es heute drei. Dabei, und das «übersehen» die Reformgegner geflissentlich, stehen die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge erst vor der Pensionierung.

Die Schweiz ist eines von bloss fünf OECD-Ländern, die das Rentenalter der Männer nie dieser Entwicklung angepasst haben. Die zunehmende Schieflage stellt die AHV vor immense Herausforderungen. Dies als Schwarzmalerei abzutun, ist reine Demagogie. Gemäss Zahlen des zuständigen Bundesamtes im Departement von Bundesrat Alain Berset (SP) würden die Einnahmen der AHV die Ausgaben bereits in drei Jahren nicht mehr decken. Doch auch nach einer Annahme der AHV21-Reform würde das System nur bis ungefähr 2029 stabilisiert. Danach drohen ausufernde Milliardendefizite. Das Parlament hat den Bundesrat denn auch mit einer Motion beauftragt, bis 2026 eine neue Vorlage auszuarbeiten, die die erste Säule von 2030 bis 2040 sichern soll.

Rente ab 69 in Dänemark

Die Reformgegner schwingen dafür in anderen Belangen präventiv die Angstkeule. Mit AHV21 sei Rentenalter 67 programmiert. Programmiert ist da gar nichts, denn über weitere Erhöhungen wäre allenfalls abzustimmen – übrigens weltweit ein Unikum, dass ein Stimmvolk zu dieser Frage überhaupt Stellung beziehen kann. Doch was als Schreckgespenst an die Wand gemalt wird, ein höheres Referenzalter, ist bei Lichte betrachtet pure Notwendigkeit. Der besondere Vorteil eines höheren Alters: Es bringt sowohl auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite eine Entlastung. Und es reduziert eine weitere Umschichtung, die von Jung zu Alt. Die Lasten werden gerechter auf die Generationen verteilt.

Das haben die meisten anderen Länder in Europa eingesehen, nicht zuletzt die in sozialen Belangen gerade unter Linken als besonders fortschrittlich geltenden Staaten Skandinaviens. In Dänemark etwa wird das gesetzliche Ruhestandsalter bis 2035 von heute 66,5 auf 69 Jahre angehoben. Dabei ist die Entwicklung der Lebenserwartung im Alter von sechzig Jahren gekoppelt. Es wird alle fünf Jahre angepasst. In Norwegen, ein anderes Beispiel, gelten für den Bezug einer Altersrente vor der Vollendung des 67. Lebensjahres besondere Bestimmungen, unter anderem ist hierfür eine Versicherungszeit von mindestens vierzig Jahren erforderlich.

«Jungsenioren» im Arbeitsmarkt gefragt

An dieser Stelle folgt jeweils ein weiteres Killerargument. Die Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer seien schlecht. Die Behauptung wird nicht wahrer, indem man sie ständig wiederholt. Im Juli betrug die Arbeitslosenquote der 50- bis 64-Jährigen 2%, genau so viel wie im Durchschnitt. Diese Alterskategorie ist heute gemäss dem Bundesamt für Statistik besser integriert als Anfang der Neunzigerjahre. Mit 81,4% ist der Anteil der «Jungsenioren» im Schweizer Arbeitsmarkt zudem klar höher als der EU-Durchschnitt von 70%. Als Folge des auch demografiebedingt wachsenden Fachkräftemangels ist anzunehmen, dass die Nachfrage nach älteren Arbeitnehmern in den kommenden Jahren eher zunehmen wird.

Ein Ja zur AHV21-Vorlage ist geboten. Es öffnet den Weg zu strukturellen, nachhaltig wirkenden Reformen, die das Übel an der Wurzel packen. Der jahrzehntelange Reformstau und die Blockadehaltung der links-konservativen Kräfte müssen durchbrochen werden. Ein Ja ist auch ein Nein gegen ihr Gedöns, Gewese und Gaukelei.