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Ein halbes Jahr ist vergangen, seit russische Truppen am Morgen des 24. Februar in die Ukraine einmarschiert sind. Davon ist im Alltag in russischen Städten wie Moskau oder St. Petersburg nur wenig zu spüren. «An der Oberfläche herrscht Business as usual», sagt Walter Denz, der in Russland die Sprachschule Liden & Denz führt. Im Frühling war es anders. Angst, Schock und Unsicherheit waren greifbar. Es herrschte eine bleierne Atmosphäre: «Die Menschen hatten Angst, etwas Falsches zu sagen», erinnert sich der gebürtige Schweizer, der seit dreissig Jahren in Russland lebt, beim virtuellen Austausch. Mit der Zeit habe dann die Verdrängung eingesetzt, wohl auch bei ihm selbst, wenn er im Land weilt. Heute sind die Restaurants voll, genauso wie die Regale in den Lebensmittelgeschäften. Denz: «Ich habe schon im März gesagt, die meisten Sanktionen bringen nichts. Zwar sind gewisse Produkte nicht mehr erhältlich, doch von einer Versorgungskrise ist man in Russland noch weit entfernt. Geschweige denn, dass Sanktionen die Regierung zu einer Verhaltensänderung bringen.»

Nach Russland gebracht hat Denz die Abenteuerlust. Es war die Zeit von Glasnost und Perestrojka. Unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin entstand eine neue Privatwirtschaft. Hier dabeizusein habe ihn unglaublich gereizt, erinnert er sich.  Nach dem Studium in St. Gallen und London kam Denz im Januar 1992, kurz vor seinem 27. Geburtstag, nach St. Petersburg. Nach verschiedenen anderen Geschäftsideen hatte er mit der Sprachschule schon früh auch kommerziellen Erfolg. Seit vergangenem Jahr besitzt er den russischen Pass.

Heute muss er um seine berufliche Zukunft kämpfen. Gerade nachdem Anfang Jahr die Buchungen nach der Coronapandemie wieder anzogen, riss der Konflikt ihn und seine Familie abrupt aus ihrem gewohnten Leben. «Gleich zu Beginn habe ich realisiert: Die Situation wird sich zu einem Riesenproblem entwickeln.» Bereits geplante Sprachreisen fanden nicht mehr statt. Zahlreiche internationale Konzerne zogen sich aus Russland zurück und damit auch das ausländische Personal, welches an Sprachkursen interessiert war. Kunden mussten umgebucht werden; es wurde auf Online-Unterricht umgestellt und in der lettischen Hauptstadt Riga entstand in Rekordzeit ein neuer Standort. Derzeit pendelt der 57-Jährige zwischen der Schweiz, Russland und Riga hin und her. Geschlossene Grenzen und unterbrochene Transportwege machen die Reise zwischen St. Petersburg und Riga jedoch langwierig und mühsam. Was vor dem Krieg ein Flug von rund vierzig Minuten war, dauert heute mit Auto und Bus mehrere Stunden, erzählt er.

Der Bedarf an Russischkursen ist in Lettland ist gemäss Denz vorhanden. Nicht nur wegen der Westeuropäer. Nirgendwo in Europa wird die Sprache von einem grösseren Teil der Bevölkerung gesprochen: Mehr als ein Viertel der rund 1,9 Mio. Einwohner des kleinen baltischen Staates sprechen russisch . Auch für die russischsprachige Diaspora ist Lettland ein wichtiges Zentrum. Seit dem Ausbruch des Krieges haben unter anderem auch unabhängige russische Medien, die das Land verlassen haben, Exil-Redaktionen in Riga gegründet. Dazu kommen Flüchtlinge aus der Ukraine sowie Leute aus dem Tech-Sektor, die Russland ebenfalls den ­Rücken gekehrt haben.

Nicht überall im baltischen Land wird die russischsprachige Minderheit begrüsst. Der Kreml beschuldigt Riga, diese zu unterdrücken. Immer wieder kommt es ihretwegen zu Spannungen zwischen Nato-Mitglied Lettland und Russland. Anfang August warnte der lettische Geheimdienst, bei den russischen Exil-Journalisten könnte es sich auch um Spione handeln; die Regierung hat sich auch für ein Vergabeverbot für EU-Visa an russische Staatsbürger ausgesprochen. Er selbst hat von offizieller Seite keine Vorbehalte erfahren, weil er mit einer schweizerisch-russischen Firma nach Riga gekommen ist, sagt Denz. «Der Tenor lautete: Geschäft ist Geschäft.» Mit seiner Sprachschule passe er eigentlich ganz gut zum Standort. Das Problem sind die Niederlassungen für Fachkräfte aus Russland. Hier gibt sich Lettland restriktiver.

Für seinen Entscheid, Russland nicht wie andere westliche Geschäftsleute vollständig zu verlassen, wurde der Unternehmer aber auch kritisiert. Er empfindet dies als «extrem miese» Vorstellung gegenüber seinen Angestellten und Kunden, sagt er. Im Rahmen seiner Tätigkeit wurde er auch schon aufgefordert, sich klar gegen den Konflikt in der Ukraine zu positionieren. «Ich habe klar gesagt, das kann ich nicht machen. So etwas ist in Russland strafrechtlich sehr heikel.»

Zentral ist für ihn momentan, dass er Gehälter und Mieten bezahlen kann. Im Bezug auf seine Kunden orientiert er seine Sprachschule neu.  Längst nicht alle Länder haben sich den Sanktionen angeschlossen. Potenzial sieht Denz etwa auf dem asiatischen Markt, in Ländern wie Indonesien oder Malaysia. Dass das Interesse an der russischen Sprache künftig versiegen wird, glaubt er nicht. Es werde auch durch Faktoren wie Literatur, Kultur oder Reisen geweckt. Aktuell gilt für ihn aber die Devise: Augen zu und durch. «Ich habe mehr als die Hälfte meines Lebens in dem Land verbracht. Die Reise ist noch nicht fertig.»