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Kann man Truss die Bank of England anvertrauen?

Der Kampf um die Nachfolge von Boris Johnson als britischer Premierminister des Vereinigten Königreichs berührte auch einen grundlegenden Baustein der modernen politischen Ökonomie: die Zentralbanken. Die geldpolitischen Entscheidungsträger, die 2010 scheinbar nichts falsch machen konnten, geraten zunehmend unter Druck. Und auch das alte Gerede über ihre unzulässige Einflussnahme ist wieder da.

Beide Kandidaten, Rishi Sunak und Liz Truss, versuchten sich mit eigenartig nostalgischen Wahlkampagnen als würdige Nachfolger der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher zu präsentieren. So hatte Sunak seine Kampagne in Thatchers Geburtsort Grantham eingeleitet und Truss, die Siegerin, lässt keine Gelegenheit aus, um sich als Wiedergeburt der eisernen Lady zu inszenieren, nicht zuletzt durch einen öffentlich ausgetragenen Konflikt mit der Bank of England.

Thatcher misstraute der britischen Zentralbank, die in ihren Augen ein selbstzufriedener inkompetenter Zweig des diskreditierten britischen Establishments war. So nannte sie Gordon Richardson, von 1973 bis 1983 Direktor der Bank, den «Idioten, der die Bank of England leitet». Kein Wunder, dass sie auf den Rand eines Memos notierte: «Ich muss jemanden ernennen, auf den ich mich verlassen kann», und einem ihrer Berater anvertraute: «Ich weiss gar nicht, wie Sie denen vertrauen können.»

Nicht auf dem falschen Weg

Thatcher war von unabhängigen Zentralbanken, die in den Achtzigerjahren gerade in Mode kamen, alles andere als begeistert. Als ihr Finanzminister Nigel Lawson vorschlug, der Bank of England mehr Unabhängigkeit zu gewähren, um ihre Geldpolitik glaubwürdiger und wirksamer zu machen, würgte sie diese Idee sofort ab.

Mit ihrer Kritik am Umgang der Bank mit der Inflation und ihrer Forderung, das Mandat der Zentralbank zu überarbeiten, tritt Truss in Thatchers Fussstapfen. Sowohl in der Geldpolitik als auch bei der Finanzregulierung wünscht sie sich eine stärkere Abstimmung zwischen der Bank of England und dem Rest der Regierung.

Mit dieser Forderung liegt sie – politisch und intellektuell – gar nicht so falsch. Unabhängige Zentralbanken mit der ausdrücklichen Aufgabe, die Inflation stabil zu halten, waren eine geniale Antwort auf Bedingungen, die heute nicht mehr gelten. Viele Jahre lang gingen die Inflationszahlen weltweit zurück, weil der enorme Zustrom von Arbeitskräften in den Entwicklungsländern die globalen Arbeitskosten nach unten drückte. Diese Zeiten sind jedoch vorbei.

Geld- und Finanzpolitik verbunden

Nach der Finanzkrise im Jahr 2008, als die Globalisierung die Arbeitskosten weiterhin niedrig hielt, verschwammen die Grenzen zwischen Geld- und Finanzpolitik immer mehr. Weil sie unkonventionelle geldpolitische Massnahmen als einfachsten Weg aus einer unmöglichen Situation sahen, begannen die Notenbanken mit dem Ankauf von Vermögenswerten – allen voran Staatsanleihen – und führten Regulierungen ein, um schwache Finanzinstitutionen zu rekapitalisieren.

Das hatte jedoch deutliche Auswirkungen auf die Finanzpolitik. Wenn Zentralbanken Haushaltsdefizite monetarisieren, werden die Zinsen zu einem extrem politischen Thema. Es war nur allzu vorhersehbar, dass die Zentralbanken die Zinsen erhöhen müssen, um den Preisanstieg einzudämmen, sobald sich das globale inflationshemmende Umfeld ändert, und dass die Schulden, die die Regierungen zu Zeiten niedriger Zinsen angehäuft haben, dann untragbar werden.

Wenn Truss die Bank of England dafür kritisiert, dass sie nicht genug tut, um die Inflation einzudämmen, hat sie also nicht unrecht. Neuen Schätzungen zufolge wird die Inflation im Vereinigten Königreich Ende des Jahres bei bis zu 13% liegen – einem Wert, der zuletzt in den Siebzigerjahren erreicht wurde, als die Wirtschaftskrise erst die Notwendigkeit für eine Thatcher schuf.

Notenbanken im Dilemma

Natürlich hat auch die Bank of England recht, wenn sie sagt, an der aktuellen Inflation trage sie kaum Schuld. Immerhin herrscht fast überall Inflation, aufgrund von Faktoren, die keine Regierung kontrollieren kann, wie der pandemiebedingten Unterbrechung von Lieferketten und dem durch Russlands Einmarsch in die Ukraine verursachten starken Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise. Dennoch ist die Inflation in Grossbritannien aufgrund hausgemachter Faktoren und besonders wegen des grossen Kreditbedarfs der öffentlichen Hand und der hohen Staatsverschuldung ein grösseres Problem als in anderen bedeutenden Industrieländern. Diese Probleme standen auch schon im Zentrum von Thatchers umstrittener «mittelfristiger Finanzstrategie» ab 1979.

Während der gesamten Ära ihrer Unabhängigkeit blieb die Frage, ob und wie Zentralbanken über die Finanzpolitik der Regierung sprechen sollen, ein wunder Punkt. Als der damalige Chef der Bank of England, Mervyn King, sich 2010 in die finanzpolitische Debatte einmischte, war Premierminister Gordon Brown empört und sah dies als politischen Trick, um die Konservativen im Wahlkampf zu unterstützen.

Tatsächlich stehen Notenbanken in aller Welt vor diesem Dilemma. Sobald grosse Sicherheitsfragen die politische Agenda dominieren, werden die Hüter der Geldpolitik zur Geisel ihrer Regierung. Wenn sie versuchen, ihre Anti-Inflationspolitik fortzusetzen, werden sie beschuldigt, die Regierung zu untergraben, indem sie die öffentliche und privatwirtschaftliche Kreditaufnahme verteuern. Wer trotzdem standhaft bleibt, kann schnell sein Amt verlieren – wie Naci Agbal in der Türkei und Tarek Amer in Ägypten. Wenn sie dagegen ihre Anti-Inflationspolitik aufgeben und wie die Regierung bösartige Einflüsse aus dem Ausland für die Preissteigerung verantwortlich machen, gelten sie als deren Handlanger – wie im Fall von Adam Glapiński in Polen.

Britannien braucht eine Kur

Letztlich lässt sich keine Wirtschaft durch geldpolitische Massnahmen allein wieder auf Wachstumskurs bringen. Dazu braucht es globale Offenheit. Dies gilt besonders für das Vereinigte Königreich mit seiner sehr geringen Produktivitätszunahme und einer durch Krankheiten (und ein unzureichendes Gesundheitssystem) geminderten Erwerbsbevölkerung.

Truss spricht zumindest ehrlich über den mit der Notenbank verbundenen Teil dieses Problems. Ob sie die generellen wirtschaftlichen Probleme des Vereinigten Königreichs ebenso mutig angehen kann, bleibt abzuwarten. Sollte sie als die neue britische Premierministerin eine echte finanzpolitische Konsolidierung durchsetzen, sähe sie tatsächlich aus wie eine neue Thatcher. Wenn nicht, sieht Grossbritannien bald eher aus wie Ägypten, die Türkei oder Polen.

Copyright: Project Syndicate.