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Was die Weltwirtschaft 2022 beschäftigen dürfte

Zinswende und Gesellschaftsgräben: In Amerika zeigen sich die Krisen besonders deutlich. Im Bild: Präsident Biden und FED-Chef Jerome Powell.

Never Mind The Markets endet bei Tamedia mit diesem Beitrag nach mehr als 11 Jahren. Mit einer teilweise neuen Autorenschaft wird der Blog bei der «Finanz und Wirtschaft» fortgeführt, die ihn seit 2012 ebenfalls publiziert. Interessierte finden in der folgenden Box einen kurzen Überblick zur Geschichte des Blogs:

Zum Abschluss ein paar Gedanken dazu, wo ich für die nächste Zukunft grosse Herausforderungen sehe, zu denen die vergangenen Krisen und die Entwicklung im letzten Jahr geführt haben. Die Aufzählung ist weder abschliessend, noch als Prognose zu verstehen.

Geschwächte Institutionen

Die Corona-Krise hat die bereits bestehenden Gräben innerhalb der Politik und Gesellschaft in vielen Ländern noch weiter vertieft. Dabei geht es nicht um inhaltliche Konflikte, grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten und scharfe Debatten. Solche braucht eine Demokratie, sie schärfen und befruchten das Denken und führen zu neuen Erkenntnissen.

Gefährlich wird es aber, wenn ein Austausch nur noch im eigenen Kreis stattfindet. Und wenn jene, die die eigenen Ansichten nicht teilen, zu Feinden werden. Soziale Medien befeuern und ermöglichen diese Abkapselung in besonderem Masse. Hier kann jede und jeder seine eigene «Wahrheit» suchen und bleibt unberührt von der relativierenden und befruchtende Konfrontation mit anderen Ansichten und Fakten.

Die Gräben drohen im schlimmsten Fall der Demokratie und dem Rechtsstaat die Legitimation zu rauben. Die USA während und nach den Wahlen sind ein besonders abschreckendes Beispiel. Und die Anzeichen mehren sich, dass sich diese Gräben mit der neuen Regierung unter Joseph Biden noch weiter geöffnet haben und ein Donald Trump oder eine noch schlimmere Variante die nächsten Wahlen gewinnen könnte. Oftmals wird die Tatsache ignoriert, dass Gesellschaften nur auf einer dünnen Kruste basieren, die durch geschickte Regeln und Konventionen zusammengehalten wird. Hoffen wir, dass diese Kruste noch weiter Bestand hat.

Ungewissheit zur künftigen Teuerung

Eine neue Herausforderung ist die im ablaufenden Jahr überraschend stark angestiegene Teuerung in vielen Ländern. In den USA lagen die Preise im November 6,8 Prozent höher als ein Jahr zuvor, in Deutschland 5,2 Prozent. Im Vergleich dazu blieb die Teuerung in der Schweiz mit 1,5 Prozent gering.

Noch dominiert die Ansicht, dass die Inflation nicht dauerhaft hoch bleibt. Das spiegeln Kapitalmarktdaten (wie Langfristzinsen) und andere Erhebungen. Doch die Preiserhöhungen ziehen sich bereits länger hin, als die meisten und vor allem die Notenbanken das bisher erwartet haben.

Eine länger hoch bleibende Teuerung hätte bedeutsame Folgen: Nicht nur, weil das die Kaufkraft der Einkommen senkt. Vor allem würde dadurch eine Schubumkehr der Notenbanken notwendig werden. Dazu der nächste Punkt.

Wenn die Notenbanken eine Kehrtwende vollziehen

Das Führungsgremium des Fed in den USA – der weltweit führenden Notenbank – geht von drei Zinserhöhungen im neuen Jahr aus. Bis Jahresende 2022 soll der Leitzins (der Tagessatz der Federal Funds Rate) bei 0,9 Prozent liegen. Aktuell beläuft er sich auf 0,08 Prozent. Andere Notenbanken, wie etwa die britische, haben die Zinswende bereits vorsichtig eingeläutet. Nach Jahrzehnten mit fallenden Zinsen ist eine Schubumkehr bei der Geldpolitik und den Zinsen überall mit hohen Risiken verbunden.

Denn die immer tiefer sinkenden Zinsen haben Vermögensanlagen wie Immobilien, Aktien und Anleihen befeuert, zum Eingehen steigender Risiken ermuntert und die öffentliche und staatliche Verschuldung begünstigt. Steigen die Zinsen tatsächlich wieder deutlich, ist mit einem Einbruch dieser Vermögenswerte zu rechnen und die private und öffentliche Verschuldung wird zum Problem, was zum nächsten Punkt führt.

Für Europa ist von der Europäischen Zentralbank (EZB) und für die Schweiz von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) aus heutiger Sicht (noch) mit keiner Änderung der Geldpolitik zu rechnen. Aber auch das ist nur bedingt eine gute Nachricht, da damit einerseits die Ungleichgewichte und Risiken an den Kapital-, Aktien- und vor allem Immobilienmärkten weiter anzusteigen drohen und andererseits die Vergangenheit gezeigt hat, dass Umstände sich so ändern können, dass die bisherigen Einschätzungen und Pläne zuweilen rasch obsolet werden.

Das Erbe der hohen privaten und öffentlichen Schulden

Die Krisen der letzten Jahre bis zurück zur Finanzkrise haben die Staaten zu umfassenden Rettungsaktionen veranlasst, dank denen eine schwere Weltwirtschaftskrise wie in den 30er-Jahren verhindert wurde. Die Folgen sind allerdings massiv erhöhte Schulden. Ein krasses Beispiel ist die USA. Deren Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) schätzt der Internationale Währungsfonds ( IWF) für 2020 auf 134 Prozent.

Angesichts der bisher tiefen Zinssätze – und weil sie tiefer lagen als das Wirtschaftswachstum – war die Verschuldung kaum ein Problem. Steigen aber die Zinssätze führt die hohe Staatsverschuldung zu hohen Ausgaben für den Schuldendienst. Diese Ausgaben schränken dann die Möglichkeiten der Länder ein und verschärfen die Verteilungskämpfe. Diese Gefahr ist bei einem geringen Wirtschaftswachstum besonders gross.

Schreckt diese Aussicht und politischer Druck die Notenbanken davor ab, die Zinsen zu erhöhen, steigt auch durch die höheren Schulden der Inflationsdruck. Das Gleiche gilt, wenn Notenbanken aus Angst vor einem Einbruch der Vermögensmärkte eine höhere Inflation akzeptieren.

Wie bei der Inflation kommt die Schweiz bei der Staatsverschuldung verhältnismässig gut weg. Gemessen am hiesigen BIP beläuft sie sich nach Schätzung und Berechnungsmethode des Internationalen Währungsfonds (IWF) für 2020 brutto auf 42 Prozent. Damit beläuft sich die Quote auf weniger als einen Drittel von jener der USA.

Anders sieht es aber bei der privaten Verschuldung in der Schweiz aus. Sie ist im internationalen Vergleich sogar ausgesprochen hoch. Jene der privaten Haushalte beläuft sich gemäss Daten des IWF auf 132 Prozent gemessen am BIP.

Grossen Anteil daran haben die Hypothekarschulden. Diese sind zwar durch die Immobilien besichert, für deren Erwerb sie ausbezahlt wurden. Doch steigende Zinsen erhöhen nicht nur die Kosten für die Bedienung der Hypotheken, sie führen gewöhnlich auch zu einem Einbruch der Immobilienpreise und damit zu einer geringen Deckung der Schulden.

Das gefährdete Nachhaltigkeitsziel

Mit der Preis- und Verschuldungsfrage eng gekoppelt ist die riesige und entscheidende Herausforderung, den Klimawandel zu bewältigen. Weder in reichen und erst recht nicht in armen Ländern sind die Leute bisher bereit, deutlich mehr für den Ausstoss etwa von CO2 zu bezahlen, bzw. die damit verbundenen Güter und Tätigkeiten. Das Resultat der entsprechenden Abstimmung in der Schweiz ist nur ein Beispiel dafür.

Die jüngst deutlich gestiegenen Energiepreise und die damit verbundenen Ängste vor generell steigenden Preisen und vor einem einbrechenden Wirtschaftswachstum haben ebenfalls deutlich gemacht, auf welchen Widerhall deutlich höhere Lenkungsabgaben zu stossen drohen.

Als Ergänzung und zunehmend als Alternative zu Lenkungsabgaben geraten daher immer mehr Investitionen in neue und umweltfreundliche Technologien sowie Investitionen in die Erforschung von solchen ins Zentrum.

Angesichts der hohen Staatsverschuldung vielerorts und wenn die Zinsen steigen, droht angesichts wachsender Verteilkämpfe um knapper werdende Mittel, auch solchen Investitionen Gefahr. Die Bereitschaft für Kompromisse und die Sicht auf das Gesamtinteresse ist noch geringer, je grösser die eingangs erwähnten Gräben in der Gesellschaft sind.

Das Covid-Stagflationsrisiko

Weniger Grund zur Sorge besteht, wenn die Wirtschaftslage sich weiterhin so positiv weiter entwickelt wie 2021. So lange der Output und die Einkommen stärker zulegen als die Zinssätze, werden Schulden besser tragbar und die Verschuldungsquote sinkt.

Die gute Botschaft ist, die meisten Prognosen gehen davon aus, dass der Aufschwung nach der Krise anhält. Die schlechte Nachricht: Die Prognosen sind so unsicher wie noch selten. Denn die nicht endende Covid-Krise, die anhaltenden Engpässe in den weltweiten Lieferketten, steigende Energiepreise und wachsende geopolitische Spannungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines anderen Szenarios: Einer drohenden Stagflation wie in den 70er-Jahren, als eine hohe Inflation von einem Einbruch der Wirtschaft begleitet wurde.

Wie eingangs erwähnt, ist ohnehin nichts vom Aufgeführten als Prognose zu verstehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir die genannten und nicht genannten Herausforderungen perfekt meistern. Hoffen wir es! In diesem Sinne: Guten Rutsch ins neue Jahr!