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Wenn die Inflation weitere Runden dreht

Der Benzinpreis erreicht auch in der Schweiz schwindelerregende Höhen. Die grosse Frage ist nun, ob sich der Inflationsdruck auf viele Produkte und Dienstleistungen ausdehnt.

In der Ökonomie gehen Preisschocks wie in einem Boxkampf durch mehrere Runden und werden entsprechend klassifiziert. In der Startrunde wird ein erster Volltreffer gelandet – ein massiver und plötzlicher Preisschock tritt ein –, und in der zweiten Runde folgen kleinere, verteilte Schläge, die allerdings den Gesamtzustand entscheidend verschlimmern.

In der dritten Runde droht dann der Knockout, einer der Kontrahenten geht zu Boden und kann sich nicht mehr aufrappeln. In der Regel ist es die Gesamtwirtschaft, die unter dem Einfluss der notwendig gewordenen straffen Geldpolitik in der dritten Runde einknickt und die Arbeitslosenquote steigen lässt.

Doch nicht immer durchläuft ein Inflationsschock alle drei Runden. Nachdem die erste Runde mit drastischen Steigerungen der Energiepreise halbwegs verdaut worden ist, beschäftigt Ökonomen nun die grosse Frage, ob sich in der aktuellen Phase bereits Zweitrundeneffekte einstellen, die die Inflation weiter anheizen.

Entscheidende zweite Runde

Die zweite Runde ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Preisdruck auf immer breiterer Basis und über eine zunehmende Zahl von Gütern oder Dienstleistungen bemerkbar macht. Denn in der jüngeren Geschichte war nach der ersten Runde Schluss, und an der Preisfront legte sich die Aufregung schnell. Deflation statt Inflation war das beherrschende Thema.

Nun herrscht die Furcht vor einer Lohn-Preis-Spirale, dem klassischen Hauptdarsteller in der zweiten Runde. Zudem sorgt erneuter Lieferkettenstress für Preisdruck bei vielen Vorprodukten und Gütern.

Dem entgegen wirkt ein mächtiger Basiseffekt. Denn wenn der Basiswert – also in diesem Fall der Ölpreis – aussergewöhnlich hoch oder niedrig ist, verzerrt dies die Veränderungsrate über die kommenden Monate. Die Preisschocks der ersten Runde bringen immer auch diesen Basiseffekt der entsprechenden Güter und damit der Gesamtinflation mit sich. Eigentlich kümmert sich die Inflationsrate nicht um das absolute Niveau der Preise. Ob der typische Warenkorb 2000 oder 5000 Fr. gekostet hat, lässt sich aus der Inflationsrate nicht ablesen.

Basiseffekt dämpft die Inflation

Die erste Runde eines Preisschocks entsteht durch einen raschen und substanziellen Preisanstieg oder -verfall für eine oder mehrere Komponenten, die in die Berechnung der Gesamtinflation einfliessen. In der Historie war meist der Ölpreis der Auslöser für plötzliche Verwerfungen. Zuletzt gab es in den Jahren 2008 und 2010 Ölpreisschocks, allerdings ohne dass sie die Inflationsängste stark geschürt oder zu einer anhaltend hohen Teuerung geführt hätten.

Auch in den vergangenen Jahren schlug der Kurs des schwarzen Goldes Kapriolen: Bei Ausbruch der Pandemie korrigierte er erst drastisch nach unten, im April 2020 lag der Preis für ein Fass Brent-Öl dank des Basiseffekts 74% unter dem Niveau des Vorjahresmonats. Der anschliessende Höhenflug führte zu einer Jahresveränderung von 253% im April 2021. Zu Beginn des kommenden Jahres dreht sie unter Annahme eines unveränderten Preises sogar in den negativen Bereich.

Noch liegt der Ölpreis Monat für Monat über dem Niveau des Vorjahres, wenn auch mit abnehmender Rate. Der Beitrag zur Jahresveränderung der Konsumentenpreise – dem gängigen Mass für Inflation – vonseiten der Energie bleibt positiv bei Annahme eines unveränderten Preises für das schwarze Gold. Spätestens zu Beginn des kommenden Jahres dreht er in den negativen Bereich.

Der negative Basiseffekt dank aktuell hoher Preise – sei es nun für Öl und seine Derivate wie Benzin oder Heizöl, aber auch für Gas und Lebensmittel – wird sich bis ins nächste Jahr zunehmend dämpfend auf die allgemeine Inflation auswirken. In der Schweiz lagen die Preise im April 2022 auf breiter Basis und über den gesamten Warenkorb hinweg betrachtet 2,5% höher als noch vor Jahresfrist.

Teuerung in der Schweiz über 3%?

Gemäss einschlägigen Prognosen soll der Höhepunkt im laufenden Quartal allerdings erreicht sein. Unter der Annahme eines unveränderten Ölpreises wird sich die Inflationsdynamik abschwächen.

«Für das vierte Quartal 2022 veranschlagen wir eine allgemeine Teuerungsrate in der Schweiz, die bereits unter 2% liegen wird», erläutert der Ökonom Alessandro Bee die Prognose seines Arbeitgebers, UBS Schweiz. Dies setzt einen unveränderten Ölpreis voraus.

Im ersten Quartal 2023 soll die Inflation dann gegen 1% tendieren, der Schnitt des Gesamtjahres 2023 liegt gar unter 1%, bei 0,7%. Bei einem deutlich rückläufigen Ölpreis würde auch die Inflationsrate entsprechend stärker abnehmen.

Dass die Inflation hierzulande noch in diesem Jahr über 3% steigt, bedingt einen raschen und deutlichen Anstieg des Ölpreises auf 140 $ oder höher. Sonst sei dies nicht zu schaffen, da der negative Basiseffekt nach unten zunehmend mächtiger werde, kommentiert Bee. In die Berechnung des Schweizer Landesindex der Konsumentenpreise fliesst Heizöl mit einem Gewicht von 0,62% in die Statistik ein, bei Treibstoffen, also Benzin und Diesel, beträgt die Gewichtung etwa 1,95% am gesamten Warenkorb.

Angsteinflössende dritte Runde

Doch die Zweitrundeneffekte könnten die Party verderben. In der Eurozone und der Schweiz macht es noch nicht den Anschein, als würde der Preisdruck auf die Löhne überspringen. Bei den Inflationserwartungen sieht die Situation deutlich kritischer aus: Die Konsumenten in der Eurozone stellen sich bereits auf massive Kaufkraftverluste ein. Wenn sich die Inflationserwartungen komplett aus der Verankerung lösen, dann droht auch der Preisdruck eine gewisse Persistenz anzunehmen.

«Die kommende Lohnrunde in der Schweiz müsste Steigerungen deutlich über 2% ergeben, dass eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. Davon gehen wir nicht aus», beruhigt Alessandro Bee.

Auch für die Eurozone kann gemäss Lohn-Tracker der Investmentbank Goldman Sachs vorerst Entwarnung gegeben werden, zumindest solange die Gewerkschaften nicht massive Lohnerhöhungen durchdrücken. Grosse Verhandlungsrunden stehen dieses Jahr noch aus. Allerdings sieht die Situation für die angelsächsischen Volkswirtschaften deutlich kritischer aus, was auch an ihrer Geldpolitik abzulesen ist.

Vor der dritten Runde des Inflationsschocks zittern die Finanzmärkte. Die starke Korrektur der Börsen ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen. Die letzte Runde besteht darin, dass die Notenbanken aufgrund der eintretenden Zweitrundeneffekte die Geldpolitik rasch und energisch straffen, die sanfte Landung nicht gelingt und eine Rezession einsetzt. Dies würde dann wiederum die Preisdynamik dämpfen, und das Problem hätte sich für die Zentralbanken einstweilen abgeschwächt.