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Wird der steile Dollaranstieg böse enden?

Der US-Dollar hat in diesem Sommer einen steilen Aufstieg hingelegt. Der japanische Yen und der Euro sind gegenüber dem Greenback auf ihren niedrigsten Stand seit zwei Jahrzehnten gefallen; der Euro, der lange mehr als einen Dollar wert war, bewegt sich aktuell nahe der Dollar-Parität. Der handelsgewichtete Dollar-Index des Federal Reserve hat beinahe wieder seinen Höchstwert vom März 2020 (inmitten der vom Beginn der Covid-Pandemie ausgelösten Panik) erreicht. Bereinigt um die Inflation in den USA und bei ihren Handelspartnern liegt er sogar schon höher.

Dies passiert derzeit, obwohl die USA die höchste jährliche Inflationsrate seit vier Jahrzehnten verzeichnen und ihre schlechteste Handelsbilanz seit der globalen Finanzkrise aufweisen. Was läuft da ab, und steht ein Dollarabsturz bevor?

Obwohl man anerkennen muss, dass die Wechselkursentwicklung extrem schwierig zu erklären oder gar vorherzusagen ist, scheinen derzeit vier wichtige Faktoren die Bewegungen der bedeutendsten Weltwährungen zu beeinflussen. Am wichtigsten ist, dass das Fed begonnen hat, die Zinsen anzuheben, und da sich die amerikanische Wirtschaft bisher nicht annähernd in einer echten Rezession zu befinden scheint, besteht noch immer Spielraum für eine weitere Straffung der Geldpolitik.

China und Japan erhöhen Zinsen nicht

Die Europäische Zentralbank agiert trotz gleichermassen hoher Inflation in der Eurozone vorsichtiger. Dies liegt teilweise daran, dass die wirtschaftlichen Aussichten des Euroraums fragiler sind. Die EZB ist besorgt über die hohe Verschuldung Italiens, ist jedoch auch der Ansicht, dass sich die derzeitigen Raten der Energiepreisinflation nicht fortsetzen werden. Japan hat wie China bisher keine bedeutsame Inflation erlebt. Die Bank of Japan dürfte ihre Geldpolitik so schnell nicht straffen, und die Chinesische Volksbank hat die Zinsen im August gesenkt.

Ein weiterer, der Stärke des Dollars zugrundeliegender Faktor ist die Geopolitik. Der Krieg in der Ukraine stellt für Europa ein deutlich unmittelbareres Risiko dar als für die USA, und Chinas ominöses Säbelrasseln gegenüber Taiwan ist ein enormes Risiko für alle, vor allem jedoch für das benachbarte Japan. Rezession oder nicht: Sowohl Europa als auch Japan werden ihre Verteidigungskapazitäten deutlich umstrukturieren müssen, und damit wird ein Anstieg der langfristigen Verteidigungsausgaben einhergehen.

Ferner ist da der anhaltende wirtschaftliche Abschwung in China, der Europa und Japan deutlich stärker betrifft als Amerika. Die Grundursachen von Chinas nachlassendem Wachstum – darunter Null-Covid-Lockdowns, die Folgen übermässiger Bautätigkeit, das harte Durchgreifen im Technologiesektor und die übermässige Zentralisierung der Wirtschaftsmacht – sind Probleme, die ich bereits seit einiger Zeit kommentiert habe, und eine steile, nachhaltige Trendwende ist hier für mich nicht erkennbar.

Italiens Spreads

Schliesslich profitiert der Dollar angesichts weiterhin sehr hoher Energiepreise auch davon, dass die USA im Energiebereich autark sind, während Europa und Japan Grossimporteure sind.

Einige würden noch ergänzen, dass die USA ein sicherer Ort sind als Europa und Japan. Das mag stimmen, obwohl die USA derzeit in einem kalten Bürgerkrieg gefangen sind, der kein Ende haben kann, solange Ex-Präsident Donald Trump noch im Spiel ist. Die Integration des Euroraums, die voranzuschreiten verspricht, wann immer es eine Krise gibt, wird schwer auf die Probe gestellt werden, falls die weltweiten Zinsen je zu steigen beginnen. Die Inflation in Deutschland nähert sich ihrem höchsten Stand seit 70 Jahren, doch könnten aggressivere Zinserhöhungen durch die EZB zu einem explosionsartigen Anstieg des Risikoaufschlags italienischer Staatsanleihen führen.

Die aktuelle Dollarstärke hat profunde Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Ein grosser Teil des Welthandels (vielleicht die Hälfte) lautet auf Dollar, und für viele Länder gilt das sowohl für die Importe als auch für die Exporte. Daher führt ein Anstieg des Dollars dazu, dass grosse Teile der Welt weniger importieren – so viel weniger, dass Wissenschaftler eine statistisch signifikante negative Auswirkung auf den Welthandel festgestellt haben.

Warten auf das Fed

Besonders brutale Auswirkungen droht der starke Greenback auf die Schwellenmärkte und Entwicklungsländer zu haben, weil Privatunternehmen und Banken dieser Länder, die Kredite bei ausländischen Anlegern aufnehmen, dies fast nur in Dollar tun können. Höhere US-Zinsen treiben die Zinsen von Kreditnehmern schwächerer Bonität tendenziell überproportional in die Höhe. Tatsächlich wäre der handelsgewichtete Dollar-Index sogar noch stärker gestiegen, wenn die Notenbanken vieler Schwellenmärkte nicht proaktiv die Zinsen erhöht hätten, um den Abwärtsdruck auf ihre nationalen Währungen einzudämmen. Doch hat eine derartige Straffung der Geldpolitik natürlich negative Auswirkungen auf ihre nationalen Volkswirtschaften.

Dass die grösseren Schwellenmärkte den höheren amerikanischen Zinsen und dem stärkeren Dollar bisher weitgehend standgehalten haben, war eine positive Überraschung. Doch wie lange sie das noch tun, falls das Fed seine Geldpolitik aggressiv strafft, bleibt abzuwarten, besonders sofern gleichzeitig die Rohstoffpreise weiter fallen (wovor mein Harvard-Kollege Jeffrey Frankel gewarnt hat) und, zusätzlich zum Abschwung in China, die USA und Europa in die Rezession abgleiten.

Amerika wird teurer

Kurzfristig wird ein steigender Dollar Amerika weniger stark in Mitleidenschaft ziehen als seine Handelspartner, hauptsächlich, weil die Rechnungsstellung im US-Handel fast ausschliesslich in Dollar erfolgt. Doch wird ein anhaltend starker Dollar längerfristige binnenwirtschaftliche Auswirkungen haben, weil die USA dadurch ein relativ gesehen teurerer Produktionsstandort werden. Dem Auslandstourismus, wo die Zahlen noch immer deutlich unter denen des Jahres 2019 liegen, wird er auch nicht helfen.

Könnte sich der aktuelle steile Anstieg des Dollars gegenüber den anderen wichtigen Währungen umkehren? Natürlich folgte auf einige frühere Avancen im Wert des Dollars, etwa Mitte der 1980er und Anfang der 2000er Jahre, letztlich jeweils ein steiler Rückgang. Doch um es noch einmal zu sagen: Die Wechselkursentwicklung ist – selbst für einen Zeithorizont von einem Jahr – schwer vorherzusagen. Besonders bei einer weiteren Verschärfung der geopolitischen Spannungen ist ein zusätzlicher Kursrückgang des Euros und des Yen um 15% gegenüber der US-Währung durchaus möglich. Das Einzige, was sich mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass die Phase aussergewöhnlich stabiler Wechselkurse zwischen den wichtigen Währungen, die 2014 begann, nun Geschichte ist.

Copyright: Project Syndicate.