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Treiber der TeuerungJede Inflation hat ihre Quellen – eine Spurensuche

Nicht nur in der Natur sind Quellen zu finden, wie der hier abgebildete Geysir Strokkur in Island. Auch die Teuerung speist sich aus verschiedenen Quellen.

Aktuell liegen die Ursachen für den Inflationsschub auf der Hand: Die Preise für Öl und Gas oder Pandemieeffekte wie Lieferengpässe sind die wichtigsten Treiber. Etwas schwieriger wird es vorherzusagen, als wie hartnäckig sich solche starken Preisavancen erweisen werden und ob sie nicht doch in eine Spirale ausarten. Lange Phasen mit hoher Inflation wären die Folge.

Die Währungshüter sind bereits alarmiert. Die US-Notenbank bereitet die Marktteilnehmer seit Wochen auf Zinserhöhungen vor.  Denn in den USA schlagen derzeit weniger die Energiepreise durch , dafür scheint das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale grösser als im Euroraum . Auch in Europa rückt ein Zinsschritt Ende Jahr näher – wahrscheinlich eher aus Vorsicht.

Nicht einfacher wird es, wenn Ökonomen von allen Seiten Theorien verbreiten, was ihrer Meinung nach als Grund für den starken Preisanstieg in Frage kommt. Da gibt es immer noch diejenigen, die sagen, vor allem die Geldmenge sei dafür verantwortlich. Schliesslich bekommen Profiinvestoren in der Summe Milliarden auf ihre Konten überwiesen, wenn sie ihre Staatsanleihen den Notenbanken verkaufen.

Andere zweifeln jedoch an solchen monetaristischen Erklärungsmustern. Denn warum sollte ein Fondsmanager oder eine Versicherung mit dem neuen Geld auf dem Konto auf einmal Güter kaufen und so die Preise nach oben treiben? Das wäre nicht ganz das, was die Sparer von einem Vermögensverwalter verlangen. So spricht viel dafür, dass dieses zusätzliche Geld zwar den Umsatz und die Kurse an den Finanzmärkten anschiebt, aber nicht die Inflation.

Lohnwachstum und Produktivität

Eine andere Inflationsquelle ist dagegen weniger strittig.  Demnach kommt es auf die Löhne (zum Beispiel pro Stunde) an. Steigen sie deutlich stärker als die Produktivität – also wie viel pro Stunde produziert wird –, treibt dies die Preise. Denn dann können Unternehmen ihre höheren Lohnkosten einfacher auf die Konsumenten abwälzen.

Dabei gilt eine Faustregel: Die Löhne sollten um 2% stärker wachsen als die Produktivität, damit das Inflationsziel von 2% erreicht wird, an dem sich Notenbanken weltweit orientieren. Anders ausgedrückt: Die Lohnstückkosten sollten im Schnitt nicht mehr als 2% steigen.

Weichen die Löhne also stärker vom Inflationsziel ab, weil Beschäftigte oder Gewerkschaften einen höheren Ausgleich für zunächst einmal vorübergehende Preisschübe durchsetzen, können sich Löhne und Preise immer weiter heraufschaukeln.

So kommt es zu einer Preisspirale, die am Ende oft nur durch harsche Zinserhöhungen zu stoppen ist. Die sozialen Nebenwirkungen sind aber gravierend: Wachstum und Jobaufbau können erlahmen, oder es brechen Wirtschaftskrisen wie Anfang der Achtzigerjahre aus, die zudem zu einer Schuldenkrise in Lateinamerika  geführt haben.

Inflation und Deflation vermeiden

Doch woher kommt diese Faustregel zum Zusammenhang zwischen Lohnwachstum und Produktivität, also zu den Lohnstückkosten? Gibt es womöglich weitere Inflationsquellen, die uns helfen, die Inflationsursachen zu analysieren? Die uns Hinweise geben, wo wir nach Gründen der Inflation oder ihres Gegenteils, der Deflation, suchen sollten? Denn eines ist klar, beides tut Volkswirtschaften nicht wirklich gut: zu stark steigende wie auch fallende Preise .

Einen guten Startpunkt zur Beantwortung dieser Fragen bietet auch heute noch eine alte Herleitung des britischen Ökonomen John Maynard Keynes. In seiner «Treatise on Money» Vom Gelde ») aus dem Jahr 1930 versuchte er zu erklären, dass Rezessionen dann ausbrechen, wenn die Ersparnisse die Investitionen übertreffen. Wenn Investitionen die Ersparnisse aber überstiegen, komme es dagegen zu Inflation. Diese Theorien sind allerdings ähnlich umstritten wie die zur Geldmenge.

Doch wichtiger ist, wie Keynes seine Theorien herleitete: Er stellte sogenannte Fundamentalgleichungen auf, wie der Ökonom Peter Spahn in seinem Buch « Streit um die Makroökonomie » sehr anschaulich beschreibt. Vereinfachend geht es darum: Das laufende Gesamteinkommen eines Landes – also die Wirtschaftsleistung oder das nominale Bruttoinlandprodukt (BIP) – entspricht der Lohnsumme und der Gewinnsumme.

Zentral für Keynes’ Herleitung der Inflationsdynamik ist aber das reale Einkommen, das heisst, wie es sich entwickelt, wenn die Preisveränderungen herausgerechnet sind und nur noch die Mengenveränderungen übrig bleiben. Heutzutage haben wir das Glück, dass die Statistiker anders als 1930 diese volkwirtschaftliche Grösse laufend berechnen. So haben wir eine einfache empirische Basis für der Erkundung der Inflationsquellen.

Die Idee ist dabei folgende: Wir teilen das nominale Gesamteinkommen durch das reale Gesamteinkommen BIP und erhalten so für jedes Jahr das durchschnittliche Preisniveau P eines Landes. Somit können wir das Preisniveau auch so zerlegen, dass wir auf diese Weise verschiedene Inflationsquellen herausfiltern. Eine mögliche Aufspaltung ist zum Beispiel:

Preisniveau = Lohnsumme / Realeinkommen BIP + Gewinnsumme / Realeinkommen BIP

Die Lohnsumme je Einheit reales BIP sind aber die Lohnstückkosten und die Gewinnsumme je Einheit reales BIP die Stückgewinne. Eigentlich messen die Lohnstückkosten das Verhältnis der Stundenlöhne zur Produktivität (reales BIP pro Stunde). Allerdings: Stundenlohn mal Stunden dividiert durch reales BIP ergibt genau das, was in der Formel steht: die Lohnsumme dividiert durch das Realeinkommen BIP.

Die Inflation ist die Veränderung des Preisniveaus und lässt sich somit rein rechnerisch in die Lohninflation und die Gewinninflation zerlegen. Die Ursache für die Lohninflation ist schnell gefunden: Die Beschäftigten oder ihre Gewerkschaften (das gilt auch für die Selbständigen) haben Inflationserwartungen, die sie in Verhandlungen mehr oder weniger durchsetzen.

Schulden treiben Wachstum

Damit Gewinne aber insgesamt überdurchschnittlich zur Inflation beitragen können, braucht es oftmals jemanden, der die neuen Schulden aufnimmt. Nur so steigt das Volkseinkommen über das bisherige Niveau – sei es durch bestehende Ersparnisse oder neue Bankkredite: Unternehmen verschulden sich für Investitionen, der Staat, wenn er Aufträge vergibt, das Ausland oder die Privathaushalte, die zusätzliche Konsumanschaffungen und Hauskäufe finanzieren.

Da die Privathaushalte einen Grossteil ihres Konsums mit ihrem Lohn finanzieren, lässt sich die Gewinninflation wiederum wie im restlichen Bruttoinlandprodukt so aufteilen: Investitionen / reales BIP + Staatsausgaben / reales BIP + Exportsaldo / reales BIP + Rest (Überkonsum + Lager) / reales BIP. Die Staatsausgaben umfassen hier aber nur die Ausgaben für öffentliche Investitionen und Konsum, da die Sozialtransfers oder die Zinszahlungen in den anderen BIP-Bestandteilen auftauchen.

Bei all diesen Inflationsquellen aus der Lohn- und der Gewinninflation stehen am Anfang also immer die Ausgaben als erste Ursache, die in einer wachsenden Volkswirtschaft auch zu einer höheren Geldmenge führen können. Als die Notenbanken im Ersten Weltkrieg die Rüstungsausgaben durch die Notenpresse der Zentralbanken finanzierten, war nicht allein die Geldmenge der Grund für die hohe Inflation, sondern in erster Linie die horrenden Ausgaben der Regierungen, die nicht selten von 10 bis 15% der Wirtschaftsleistung auf 50% stiegen.

Geldmenge ist oft zweitrangig

Wenn die Geldmenge für die Inflation tatsächlich einmal eine dominierende Rolle im Vergleich zu den Ausgaben spielt, hat sie oft mit Verwerfungen im Finanzsystem zu tun. So wurde aus der starken Inflation in Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg erst dann eine Hyperinflation, als ein enormer Kapitalabfluss einsetzte , der wiederum von der Notenbank ausgeglichen wurde. Nur so kam es zur unaufhaltsamen Preisspirale im Jahr 1923.

Der Grund für die Deflation nach dem Börsencrash von 1929 in den USA lässt sich auch in der Geldmenge finden. Damals kam es zum Zusammenbruch von Banken, weil die Geldhäuser zuvor im Aktienboom zu viele Kredite ohne ausreichende Sicherheiten vergeben hatten. Durch Bank Runs sank die Geldmenge nach dem Crash um 30%, was für die Wirtschaft folgenreich war.

Der Börsencrash und der Nachfragerückgang in der Rezession weiteten sich so zu einer weltweiten Systemkrise aus, schreibt Peter Spahn. Doch die Inflationsquellen zeigen uns noch etwas: Die schrumpfenden Investitionen des Jahres 1930 wurden ein Jahr später noch dadurch verstärkt, dass die Unternehmen die Lohnstückkosten exorbitant senkten, was wiederum die Krise verschärfte und das Land in eine Depression führte.

Nicht geholfen haben die sinkenden Staatsausgaben (vor allem der Bundesstaaten) im Jahr 1932, die um 12% einbrachen. Sie bewegten sich aber im Rahmen dessen, was die Abwärtsspirale aus Investitionen und Löhnen bereits losgetreten hatte, und waren damit keine zusätzliche Quelle der Deflation. Höchstwahrscheinlich aber hätte der Staat die Depression verhindern können, die den Kapitalstock der Unternehmen von 1931 bis 1936 geschrumpft hat. Sie wurde nur mit Mühe vom Regierungsprogramm des New Deal aufgefangen.

Im Zweiten Weltkrieg zeigen uns die Inflationsquellen in den USA eindeutig: Die Staatsausgaben für Kriegsrüstung waren die wichtigste Quelle für die Gewinninflation. Kein Wunder also, versuchte die Regierung die übermässigen Kriegsprofite mit Preiskontrollen einzudämmen. Dies half zugleich dabei, dass die aufkommende Lohn-Preis-Spirale schnell eingedämmt wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hätte der starke Rückgang der Staatsausgaben 1946 fast zu einem deflationären Schock geführt. Dies dürfte der Hintergrund sein, warum die Preiskontrollen auf Druck der Unternehmen überstürzt, ohne Übergang, aufgehoben wurden: Alle Inflationsquellen leisteten daraufhin einen übermässigen Beitrag zum Teuerungsschub nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Siebzigerjahre wiederum sind dafür bekannt, dass eine Lohn-Preis-Spirale den Ölpreisschock verstärkt hat. Weniger bekannt ist, dass die Lohn-Preis-Spirale in Form stark steigender Lohnstückkosten bereits in den Sechzigerjahren begonnen hatte. Deshalb hatten die Preiskontrollen unter Nixon auch keine lang anhaltende Wirkung.

Zudem trug die Regierung mit ihren Ausgaben erheblich zum Preisanstieg bei: Wie bei den Löhnen übertrug sie ihre übermässigen Inflationserwartungen damals in die Budgetplanung. Genau deswegen geben die Nationalbanken heute  Inflationsziele bekannt : Sie sollen den Erwartungskanal der Inflation in Lohnverhandlungen und der Budgetplanung dämpfen.

Nach dem Platzen der Immobilienblase in Japan Anfang der Neunzigerjahre waren es wiederum die Investitionen, die die Inflation über Jahre drückten. Letztlich führten sie in die Deflation mit mauem Wachstum, die dadurch verstärkt wurde, dass die Staatsausgaben und die Löhne sanken: Die Fehler der Grossen Depression wiederholten sich und sind wie 1932 in den USA somit der wahre Grund für die überbordenden Staatsschulden des Landes.

Heute schauen viele Beobachter auf die Lohnstückkosten in den USA. Doch das Lohnwachstum in der Privatwirtschaft hat bereits Ende 2021 abgenommen: Im Vergleich zum Vorquartal ist es von 6,5 auf 5% gesunken (auf das Jahr hochgerechnet). Das war nur 1% mehr, als Inflationsziel und Produktivität mit jeweils 2% nahelegen. Dafür wird deutlich, dass vor allem der Unterkonsum im Vorjahr und der Überkonsum 2021 die wichtigsten Inflationstreiber waren.

Die Amerikaner haben ihre Ersparnisse aus der Pandemie ausgegeben. Wenn jetzt auch noch die letzten zusätzlichen Sozialtransfers des Staates auslaufen, dürfte sich auch die Lohnentwicklung entspannen. Dafür deutet sich in den monatlichen Zahlen an, dass die Preise, die wenig von der Pandemie betroffen sind, zum neuen Inflationstreiber werden könnten. Offenbar schlagen die Lieferengpässe erst jetzt voll durch. Die bekämpft man aber nicht mit Zinserhöhungen.