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Stagflation: die Lehre aus den Siebzigern

Seine Worte waren mehr als nur Schall und Rauch: Paul Volcker, Fed-Chef von 1979 bis 1987.

Einiges deutet derzeit auf Stagflation hin: auf ein wirtschaftliches Umfeld geprägt von stagnierender Nachfrage und hoher Inflation.

Die Inflation ist in den USA mit 7,9% und der Eurozone mit 5,9% auf dem höchsten Niveau seit Jahrzehnten. Sie wird wegen der explodierenden Energie- und Rohstoffpreise sowie der Lieferengpässe voraussichtlich noch länger erhöht bleiben. Im Schnitt erwarten die Märkte in den USA 3% Inflation über die nächsten zehn Jahre (vgl. Grafik 1).

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Gleichzeitig droht sich das Wirtschaftswachstum abzukühlen. Die US-Konsumentenstimmung war schon vor dem Ukrainekrieg im Keller, und der Zinsmarkt sendet Warnsignale.

Da die kurzfristigen Zinsen schneller steigen als die langfristigen, hat sich die Terminstrukturkurve massiv verflacht. Der Renditeabstand zwischen zehn- und zweijährigen US-Treasuries ist in einem Jahr von 1,5 auf 0,25 Prozentpunkte geschrumpft. Das macht Marktteilnehmer nervös. Denn ein Absinken unter null – eine inverse Zinskurve – war in der Vergangenheit ein verlässlicher Vorbote einer Rezession.

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Die entscheidende Frage ist aber, wie lange die stagflationäre Phase dauert. Denn das eigentliche Schreckensszenario ist nicht ein Inflationsschock mit Wachstumsverlangsamung, sondern eine lange Phase mit hartnäckig hoher Inflation, steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Reallöhnen, wie viele Industrieländer sie in den Siebzigerjahren erlebten.

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Um die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios abzuschätzen, muss man die Gründe verstehen, die in den Siebzigerjahren zur Stagflation geführt haben, und die heutige Entwicklung damit vergleichen.

Negativer Angebotsschock

Die Stagflation der Siebziger kam für die Ökonomen unerwartet. Die meisten ihrer Modelle sahen damals keine solche Konstellation vor. Inflation und BIP-Wachstum bewegten sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren stets in die gleiche Richtung. Im Abschwung ging die Teuerung zurück, im Boom zogen die Preise stärker an. Die allgemein akzeptierte Phillips-Kurve, die den negativen Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Teuerung darstellt, konnte eine Stagflation nicht erklären.

Doch dann kamen das Ölembargo und die erste Ölkrise: Die erdölexportierenden Länder reduzierten ihre Ausfuhren, wodurch sich der Weltmarktpreis verdreifachte. Für die Volkswirtschaften im Westen, deren Abhängigkeit vom billigen Energieträger im Nachkriegsboom massiv zugenommen hatte, stellte dies einen enormen negativen Angebotsschock dar. Negative Angebotsschocks, die die Produktion verteuern, treiben zumindest kurzfristig die Inflation in die Höhe und bremsen das Wachstum. Genau das passierte 1974 und scheint auch derzeit der Fall zu sein.

Doch ein einmaliger Preisschock bedeutet noch lange keine Stagflation mit jahrelang hohen Inflationsraten. Dazu braucht es auch noch ein Versagen der Geldpolitik. Und genau das war die Quelle der Stagflation der Siebzigerjahre – darüber sind sich heute die meisten Ökonomen einig. Natürlich gab es damals noch andere Faktoren, die eine Rolle spielten, etwa die zum Teil an die Teuerung gebundenen Löhne sowie die Versuche der Regierungen, die Inflation mit Preis- und Lohnkontrollen zu bekämpfen.

Gegen einen negativen Angebotsschock sind Notenbanken zwar machtlos. Mit Zinserhöhungen löst man kein Lieferkettenproblem, und ein Mangel an Öl oder Gas lässt sich damit nicht beheben. Doch in den Siebzigern war die zu lockere Geldpolitik schuld daran, dass die Gesamtnachfrage lange zu gross blieb und die Menschen begannen, die hohe Inflation in die Zukunft fortzuschreiben, wodurch eine gefährliche Dynamik in Gang kommen konnte.

Zu lockere Geldpolitik

In der Rezession von 1973/74 sank die Gesamtnachfrage weniger stark als die Produktion, und in der Erholung danach befeuerte ein anhaltender Nachfrageüberhang die Inflation. In den USA und anderen Industrieländern hielten die Zentralbanken die Zinsen weit unter dem Niveau, das gemäss einfachen ökonometrischen Modellen wie der Taylor-Regel für Preisstabilität nötig gewesen wäre, aus Angst, die Arbeitslosigkeit zu verschärfen.

Es brauchte schliesslich die Rosskur des damaligen Fed-Chefs Paul Volcker, um die Dynamik zu brechen. Kaum zwei Monate im Amt, führte er 1979 ein neues Geldmengenziel ein, wodurch der Leitzins 1980 bis auf 20% stieg. Der «Volcker-Schock» zog eine erneute Rezession nach sich, in deren Verlauf die Arbeitslosigkeit auf mehr als 10% kletterte und zahlreiche US-Bürger ihre Häuser verloren. Doch die Inflation bildete sich rasch zurück. Die glaubwürdige Notenbankpolitik war der Anker für die Inflationserwartungen. Der Grundstein für die wirtschaftlich erfolgreichen Neunzigerjahre war gelegt.

Volcker ist für viele Ökonomen ein Held. Auch der heutige Fed-Chef Jay Powell ist ein grosser Bewunderer seines 2019 verstorbenen Vorgängers. Er nannte ihn «den besten Staatsdiener jener Ära». Das hilft zu verstehen, weshalb Powell jetzt trotz unsicherer Konjunkturlage daran festhält, den Leitzins zu erhöhen.

Denn der Fed-Chef muss signalisieren, dass die Notenbank es auch heute ernst meint mit der Preisstabilität, selbst wenn durch die Geldpolitik das Wachstum gebremst wird. Nur so lassen sich die Inflationserwartungen zügeln und ein viel grösserer Schock wie unter Volcker zu einem späteren Zeitpunkt verhindern.

Wenn die Notenbank die Inflationserwartungen nicht frühzeitig in den Griff bekommt, büssen wir dafür später doppelt. Das ist die Lehre aus den Siebzigern.