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Vom Inflations- zum Produktivitätsproblem

In US-Dienstleistungsberufen sind die Stundenlöhne 2021 zwischen 2 und 3% gestiegen. Das reichte aber nicht, um die teuerungsbedingten Kaufkraftverluste zu kompensieren.

Es gibt zwei Seiten, um die Inflation abzuschätzen. Die eine ist die offensichtliche: Die Preise steigen. Die andere ist das Spiegelbild dazu: der Verlust an Kaufkraft. Ökonomisch ist sie die relevantere Interpretation, denn sie zeigt, wie viel Geld einer Familie tatsächlich übrigbleibt, um die teurer gewordenen laufenden Ausgaben zu meistern. Reicht es noch, um sich zusätzliche Anschaffungen, deren Preise ebenfalls gestiegen sind, zu leisten?

Auf den ersten Blick ist das banal. Aber tatsächlich macht es einen Unterschied, worauf man achtet. Zentralbanken schauen fast nur auf den ersten Effekt: Ihr Mandat schreibt ihnen ein Preisziel vor. Je nachdem, ob die tatsächliche Inflation den Zielwert über- oder unterschreitet, erhöhen oder senken sie die Zinsen.

Kaufkraftverluste sind das hartnäckigere Problem

Aktuell betonen sie daher in ihrer Analyse, dass der Inflationsschub bald nachlassen wird. Das geschieht, sobald die Basiseffekte vom vergangenen Jahr Wirkung zeigen. Das dürfte ab Mai oder Juni eintreten. Denn 2021 begannen in diesen Monaten die Preise anzuziehen.

Da die Inflationsrate die Preisdifferenz im Vergleich zum Vorjahr misst, dürfte sie dank der höheren Vorjahresbasis geringer ausfallen. Zuvor wird die Konsumentenpreisinflation zwar noch einmal Rekorde verzeichnen. Ökonomen stellen sich auf eine Jahresrate im April von 9% im Euroraum ein. Sobald in den darauffolgenden Monaten die Inflationsraten niedriger ausfallen, wird an den Märkten aber eine Entspannung eintreten. Der Zinsanstieg wird sich erst einmal verlangsamen.

Realwirtschaftlich wird das allerdings kaum zu spüren sein. Das hohe Preisniveau bleibt und damit ebenfalls der negative Budgeteffekt. Die Kaufkrafterosion hält an. Wie werden die Privathaushalte darauf reagieren?

Die Löhne werden markant steigen

Vieles spricht dafür, dass die Löhne dieses und nächstes Jahr spürbar steigen werden. In den USA ist das bereits sichtbar. Denn dort ist das Umfeld dafür wie geschaffen. Es fehlt nicht nur Personal für Neuanstellungen, Ökonomen weisen auch darauf hin, dass Arbeitgeber bessere Löhne bieten müssen, um ihre Angestellten bei der Stange zu halten. 49% der KMU haben die Gehälter in den vergangenen drei Monaten erhöht, 28% planen weitere Gehaltserhöhungen in nächster Zukunft. Die Löhne und Gehälter lagen im März landesweit im Schnitt 5,6% höher als im Vorjahr.

In Europa ist das (noch) nicht zu beobachten. Ende 2021 sind im Euroraum die Tariflöhne nur um 1,6% gestiegen, pro Arbeitnehmer entspricht das einer Zunahme um 3,6%. Die Gewerkschaften halten sich mit ihren Lohnforderungen noch zurück. Das dürfte auch an den Arbeitsmarktbedingungen liegen, die nicht so angespannt sind wie in den USA.

Zwar ist die Arbeitslosigkeit im Euroraum deutlich gesunken, aber nach wie vor herrscht vielerorts eine statistisch kaum erfasste Unterbeschäftigung. Allein in den drei grössten Eurostaaten befinden sich immer noch 1,7 Mio. Beschäftigte in Kurzarbeit. Der verhaltene Aufwärtsdruck der Löhne dürfte einer der Gründe dafür sein, weshalb sich die EZB bisher zurückhaltender zu einer Straffung der geldpolitischen Zügel äussert als das Fed in den USA.

Aber die Forderungen nach einem substanziellen Teuerungsausgleich werden zunehmen. Die Schätzungen von rund 3,5% dieses Jahr und nächstes Jahr, die gegenwärtig in vielen Prognosemodellen enthalten sind, setzen wahrscheinlich zu tief an. In den Neunzigerjahren stiegen die Löhne als Reaktion auf die massiven Kaufkraftverluste um 7% pro Jahr.

Produktivitätswachstum ist künftig entscheidend

Die Forderung nach einem Ausgleich der Kaufkraftverluste sind berechtigt und bis zu einem gewissen Grad gesamtwirtschaftlich auch sinnvoll: Sie helfen dabei, die Gesamtnachfrage stabil zu halten. Aber es gibt Grenzen. Zum einen dürfen sie nicht die Inflation zusätzlich anheizen und zum anderen müssen die Arbeitgeber sie wirtschaftlich auch tragen können.

In beiden Fällen ist die Produktivität entscheidend. Sie wird künftig zur meistzitierten Grösse der Konjunktur- und Wirtschaftsanalyse aufsteigen.

Denn das Produktivitätswachstum macht es möglich, die Preise selbst dann stabil zu halten, wenn die Löhne steigen. Dafür müssen die Produktivitätsgewinne aber den Anstieg der Arbeitskosten übersteigen.

Leider fällt der weltweite Inflationsschub ausgerechnet in eine Phase, in der das Tempo der Produktivität in den Industrieländern seit Jahren eher ab- als zunimmt. Die jüngsten Daten aus den USA fallen ernüchternd aus. 2021 wurde die Produktivität um 1,9% gesteigert. Das reichte nicht aus, um die Lohnkosten, die um 3,5% zugenommen haben, zu kompensieren.

Im Euroraum schätzt die EZB das Produktivitätswachstum der vergangenen Jahre auf knapp 1%. Das genügt zwar in normalen Zeiten, um 3% Lohnkostenwachstum zu rechtfertigen (1% Produktivität + 2% Inflationsziel). Aber was ist, wenn die Löhne 5% oder mehr zunehmen?

Ausreichend hohe Produktivitätsfortschritte zu realisieren, wird für Unternehmen genauso wie für die Gesamtwirtschaft zum entscheidenden Erfolgsfaktor, um die kommenden Jahre einer erhöhten Inflation unbeschadet zu überstehen.