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Von der Überflussgesellschaft zur Knappheitsökonomie

Kriege (wie in der Ukraine), Krisen (wie in der Energieversorgung) und Katastrophen (wie Hitze und zunehmende Dürre): die «drei K» des Schreckens dominieren die aktuelle Situation. Jedes K gefährdet bereits für sich die Fortschreibung bis anhin erfolgreicher Geschäftsmodelle. In Summe sind sie erst recht eine Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung. Kein Wunder also verdichten sich Erwartungen und Voraussagen immer stärker zum stimmungsprägenden Eindruck, dass die bevorstehenden Zeiten schwieriger und härter werden. Schweizer Haushalte beurteilen jetzt schon ihre finanzielle Lage so schlecht wie niemals zuvor ( https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/seco/nsb-news.msg-id-89835.html ).

In der Tat ist heute bereits erkennbar, dass das Zusammenwirken der «drei K» zu einer Zeitenwende führt. Die für die Nachkriegszeit prägende Überflussgesellschaft wird durch eine Knappheitsökonomie abgelöst. Überall herrscht Mangel – an Rohstoffen, Baumaterialien, Heizöl und manchen anderen Konsumgütern genauso wie an Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt. Der Knappheit entsprechend wird vieles (viel) teurer. So haben sich die Konsumentenpreise in der Schweiz im Juli 2022 im Vergleich zum Vorjahr 3,4% erhöht. Das ist die heftigste Zunahme seit dem Herbst 1993. Nur der starke Franken hat da noch Schlimmeres verhindert. Er verbilligt die in Fremdwährungen fakturierte Einfuhr aus dem Ausland – vor allem die in US-Dollar gehandelten Importe von Benzin, Gas und Metallen.

Entgegen landläufiger Meinung und gelegentlich polemischer Kritik sind die Notenbanken und ihre viel zu expansive Geldpolitik für die Teuerung zwar auch, aber eben nicht allein verantwortlich. Die Inflation von heute ist nämlich nicht nur ein monetäres Phänomen und Folge davon, dass die Zentralbanken viel zu viel Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt haben. Auch die hohen Staatsausgaben, um die negativen und teilweise existenzgefährdenden Folgen der Pandemie(-bekämpfung) für private Haushalte, Selbständige und Unternehmen zu mindern, stimulieren die Nachfrage, was steigende Preise provoziert. Schliesslich jedoch wird die Inflation durch realwirtschaftliche Angebotsengpässe angeheizt.

Vertikale Integration und Insourcing

Die «drei K» wirken als fundamentale Kostentreiber. Sie erhöhen nahezu in jedem einzelnen Glied einer Wertschöpfungskette Unsicherheit und Risiken. Das erzwingt eine Abkehr von alten und lange Zeit durchaus erfolgreichen Prinzipien der Effizienzmaximierung und der Kostenminimierung. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation WTO galt die ökonomische Doktrin des Outsourcing (also der Auslagerung arbeitsintensiver Tätigkeiten) an Billigstandorte und einer Just-in-Time-Produktion und -Lieferung, die auf teure Lagerhaltung mehr oder weniger vollständig verzichtete. Herstellungsverfahren wurden in eine Vielzahl kleinteiliger Schritte zerlegt. Die einzelnen Komponenten sollten auf der Grundlage einer globalen Arbeitsteilung gefertigt werden. So konnten Vorteile der Spezialisierung und der Massenproduktion genutzt und Stückkosten gesenkt werden. Komplexe logistische Netzwerke hatten dafür zu sorgen, dass Kunden in aller Welt mit günstigen Konsumgütern beliefert werden konnten.

Bei steigender Unsicherheit nimmt das Risiko zu, dass bei jedem einzelnen Teilschritt einer dezentralen Wertschöpfungskette und ihrer Vielzahl von Komponenten vieles schiefgehen kann und irgendwo irgendetwas fehlt. Entsprechend steigen Absicherungs- und Versicherungskosten. Unternehmen müssen somit künftig vermehrt sicherstellen, dass sie die Energie, die Rohstoffe und die Vorleistungen in genügender Menge pünktlich erhalten, die sie zur Weiterverarbeitung benötigen. Ebenso gilt es für sie, Vorsorge zu treffen, dass auf der Verkaufsseite die Absatzwege funktionieren und Zustelldienste oder Geschäftsstellen ordentlich arbeiten. Um Engpässe, Warte- und Ausfallzeiten zu verhindern, werden dann halt doch wieder Lager notwendig.

Ebenso wird erkennbar, dass die vertikale Integration und das Insourcing eine Renaissance erleben. Weil man Märkten und Verträgen nicht mehr traut, werden verschiedene Glieder einer Wertschöpfungskette über Hierarchie und Befehl zusammengeschweisst. Zulieferer von Vorleistungen (also beispielsweise Baustoffe oder Softwareentwicklung) oder Abnahmestellen von Endprodukten (wie Kaufhäuser oder Lieferdienste) werden in die Konzerne der weiterverarbeitenden Industrie zurückgeholt. Das kann zwar mehr Kosten verursachen, ist aber verlässlicher und damit dann wohl doch wieder günstiger.

Genauso werden Unternehmen kostspielige Redundanz und dem reinen Effizienzprinzip widersprechende Doppelspurigkeit in Kauf nehmen (müssen), um im Notfall voll handlungsfähig zu bleiben und einen unvorhersehbaren Ausfall einer Lieferquelle oder einer Fabrik rasch und reibungslos durch einen ohne langen Zeitverzug funktionsfähigen Ersatzbetrieb auffangen zu können. Unternehmen sichern sich gleichzeitig Zugang zu verschiedenen Energiequellen oder Strom aus Wasser, Wind oder Sonne, damit im Notfall wenigstens eine Quelle ganz sicher sprudelt. Versorgungssicherheit wird wichtiger als Kostenminimierung. Das jedoch wird für Kunden teu(r)er werden.

Strukturwandel muss in Gang kommen

Für eine Vielzahl von Gütern wird es betriebswirtschaftlich attraktiver, die Produktion einzelner Teile oder gleich der gesamten Wertschöpfungskette aus globaler Ferne in die lokale Nachbarschaft zurückzuholen. Damit jedoch verzichtet man teilweise auf Vorteile von globaler Arbeitsteilung, internationaler Spezialisierung und Massenproduktion an Billigstandorten. Und man droht in den Strudel neuer lokaler Abhängigkeiten zu geraten – wie Vetternwirtschaft, Gebietskartelle und politische Ideologien. In Summe wird auch das die alltäglichen Lebenshaltungskosten einer Gesellschaft anheben.

Höhere Kosten und steigende Preise sind in einer Knappheitsökonomie die neue Normalität. Deshalb ist festzuhalten, dass die Inflation nicht verschwinden wird, wenn die Notenbanken (endlich!) die Leitzinsen (noch deutlich!) stärker anheben werden. Die durch eine Knappheitsökonomie verursachte Teuerung wird so lange bleiben, bis Verhaltensanpassungen bei der Kundschaft, neue Geschäftsmodelle bei den Unternehmen und Innovationen einen Strukturwandel in Gang gesetzt haben, der den Veränderungen gerecht wird, die durch die «drei K» verursacht werden. Das muss und wird dauern. Aber das Warten lohnt sich: Eine Knappheitsökonomie sendet genau die Signale aus, die Innovationen die Richtung weisen und den Fortschritt auf allen Ebenen von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik beschleunigen.

Staatliche Massnahmen – und mögen sie noch so gut gemeint sein –, die versuchen, zu verhindern, dass Knappheit die Preise nach oben treibt, helfen nicht wirklich weiter. Das gilt im Übrigen auch für die Forderung, steigenden Lohnkosten als Folge eines Fachkräftemangels durch vermehrte Zuwanderung von billigen Arbeitskräften aus dem Ausland abzuhelfen. Man produziert dann lediglich mit viel billiger Arbeit und entsprechend geringer Produktivität, was eigentlich mit mehr Technologie automatisiert hergestellt werden könnte. Geringe Produktivität bedeutet jedoch geringere Löhne und sinkende Attraktivität. Fachkräfte verharren in strukturschwachen Branchen, die in einer Knappheitsökonomie nicht überlebensfähig sind. Was mit der Forderung nach mehr Zuwanderung von Fachkräften beginnt, verhindert somit eine sektorale Wanderung aus schwachen in starke Branchen. Somit zeigt sich, was für Güter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmarkt gleichermassen gilt: Wer den Preismechanismus stört oder gar aushebelt, verlangsamt den Strukturwandel und verlängert am Ende das Zeitalter der Knappheit.