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Was macht eigentlich...

Carlos Ghosn, französisch-brasilianisch-libanesischer Staatsbürger, im August 2020 in Beirut, acht Monate nach seiner Flucht.

Mehr als jede andere Industriebranche ist die Geschichte des Automobilsektors von seinen Protagonisten geprägt. Tüftler, Patrons oder Visionäre, allesamt Alphatiere mit dem Hang zum Grössenwahn, der sie zu Gewinnern machte, aber am Ende häufig auch scheitern lässt. Bei keinem von ihnen fielen Aufstieg und Fall allerdings so spektakulär aus wie bei Carlos Ghosn, dem «letzten Kaiser der Autoindustrie», wie ihn die internationale Wirtschaftspresse einst betitelte.

Was er anfasste, schien sich in Gold zu verwandeln. 1996 bringt Ghosn den privatisierten Renault-Konzern in nur gut einem Jahr auf Gewinnkurs, dank einer radikalen Umstrukturierung. 1999 geht Renault mit dem damals maroden Nissan-Konzern eine Allianz ein. Auch dieser Coup wird zum Erfolg. Ghosns Erfolgsgeheimnis ist sein Managementstil: einerseits eisern bei der Umsetzung der Zielvorgaben, andererseits transparent, offen und immer im Austausch mit den Mitarbeitern auf allen Ebenen des Multis. Irgendwann geht die Bodenständigkeit aber verloren. Vielleicht sind Ruhm und Erfolg schuld daran. Der japanische Kaiser empfängt ihn, ein Manga wird nach dem Konzernchef benannt, der auf zwei Kontinenten gleichzeitig lebt und sich für seine zweite Heirat in Versailles eine Hochzeit ausrichtet, die imperiale Züge annimmt.

Aber vielleicht ist es auch nur die Gier nach Geld, die ihn stolpern lässt. Millionen sollen illegal in seine Taschen geflossen sein, meist falsch deklariert als Firmenausgaben. Am 19. November 2018 verhaftet ihn die japanische Polizei am Flughafen und steckt ihn in eine Gefängniszelle, knapp 15 m² klein, ununterbrochen hell erleuchtet. Erst im März 2019 darf er gegen 1 Bio. Yen Kaution in den Hausarrest. Für Ghosn steht fest: Es geht um mehr als Veruntreuung. Er vermutet, dass die geballte Staatsmacht dahintersteckt, weil sie eine Fusion zwischen Renault und Nissan-Mitsubishi verhindern will, in der die Franzosen die Mehrheit innehätten. Auslieferungsanfragen, die Präsident Macron unterstützt, blitzen ab.

Ghosn fürchtet, dass ihn in Japan kein fairer Prozess erwartet und organisiert eine spektakuläre Flucht. Versteckt in einem Transportkoffer für Musikequipment, schafft er es einen Tag vor Silvester 2019 unbemerkt in einen gecharterten Jet, der ihn nach Istanbul ausfliegt. Stunden später geht es nach Beirut, wo sein Vater geboren wurde. Ghosn besitzt u. a. die libanesische Staatsbürgerschaft.

Dort lebt der 67-Jährige seither als ­Privatier. Er arbeite an seiner Autobio­grafie inklusive Filmprojekten und unterstütze Start-ups, sagt er in einem Interview. Vor allem widmet er sich aber seinen juristischen Problemen. Zahlreiche Justizverfahren laufen gegen ihn, auf die er mit eigenen Millionenklagen reagiert. Anfang des Jahres hat ein Gericht in Amsterdam eine solche Gegenklage abgewiesen. Ghosn geht in Berufung. Aber das ist ein Nebenschauplatz. Während Japans Justiz seit der Flucht nichts mehr unternommen hat, läuft die Prozesswelle, die Ghosn in Frankreich erwartet, jetzt an. Diese ­Woche haben ihn erstmals französische Staatsanwälte in Beirut befragt. Ghosn nimmt es gelassen. Er sei froh, dass ihm endlich die Gelegenheit gegeben werde, in Anwesenheit seiner Anwälte zu erläutern, was wirklich vorgefallen sei, lässt er ausrichten.