FRANKFURT (awp international) - Die zu Handelsbeginn am Montag noch spürbar gewesene Erleichterung der Anleger über das Zollabkommen zwischen den USA und der EU ist in Unbehagen umgeschlagen. Der Leitindex Dax und der MDax der mittelgrossen Unternehmen rutschten deutlich in die Verlustzone, denn die Vereinbarung enttäuschte. Wachstumssorgen beherrschen nun die Gemüter.
Im frühen Handel noch um fast ein Prozent in die Höhe geklettert, hatte der Dax zunächst Kurs auf sein vor fast drei Wochen erreichtes Rekordhoch bei 24.639 Zählern genommen. Doch rasch bröckelten die Gewinne wieder ab, bis der Leitindex am frühen Nachmittag in die Verlustzone rutschte. Mit minus 1,02 Prozent auf 23.970,36 Punkte ging er schliesslich aus dem Tag. Die gleitende 21-Tage-Linie, die den kurzfristigen Trend signalisiert und aktuell bei 24.124 Punkten verläuft, wurde damit wieder gerissen.
Für den MDax, den Index der mittelgrossen Unternehmen am deutschen Markt, ging es um 1,45 Prozent auf 31.029,09 Punkte nach unten. Europaweit hatte sich die Stimmung im Tagesverlauf ebenfalls eingetrübt. Am Ende des Handelstages gab der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 um 0,27 Prozent auf 5.337,58 Punkte nach. Ausserhalb der Euroregion, in der Schweiz und Grossbritannien, wurden ebenfalls Verluste verbucht, während sich die wichtigsten Indizes in den USA zum europäischen Handelsschluss kaum verändert bis leicht im Plus zeigten.
Die USA und die EU einigten sich auf einen Basiszoll von 15 Prozent auf die meisten europäischen Einfuhren in die Vereinigten Staaten. Dieser gilt auch für Autos, Halbleiter und Pharmaprodukte. Marktexperten zufolge profitieren die USA mehr von dem Abkommen.
Laut Chef-Marktanalyst Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets fühlt sich das Abkommen eher wie eine Niederlage an. "Der Trade-Deal trägt die Handschrift von Trumps 'America First'", schrieb er und sieht keine Spur mehr von Gemeinschaftlichkeit im transatlantischen Handel. Ökonom Nicola Mai von der Investmentgesellschaft Pimco befürchtet, dass das Wachstum der Eurozone infolge des Abkommens um nahezu einen Prozentpunkt geschwächt wird und damit in den kommenden Quartalen beinahe zum Erliegen kommt.
Aus Branchensicht fiel die Reaktion auf die Zolleinigung dennoch unterschiedlich aus. Bei Anlegern von Automobilaktien verflog die erste Euphorie schnell. BMW , Mercedes-Benz , Porsche AG und Volkswagen rutschten deutlich ins Minus und versammelten sich bis Handelsschluss am Dax-Ende, wobei die Aktie des Sportwagenbauers Porsche mit minus 4,1 Prozent die kräftigsten Verluste einfuhr.
"Die erkaufte Deeskalation im Handelskonflikt zwischen Europa und den USA lastet stark auf den Aktien der deutschen Autowerte", kommentierte Marktexperte Andreas Lipkow. Insbesondere die starke Einseitigkeit des Abkommens lasse den Charakter der getroffenen Vereinbarungen in einem anderen Licht erscheinen. Autos aus den USA sollen als Teil des Abkommens künftig zollfrei in die Europäische Union importiert werden können.
Unter den Pharmaaktien fiel die Reaktion auf die Zolleinigung positiver aus. Die letzten Sorgen über die Zoll-Belastungen seien nun beseitigt, schrieb Experte Richard Vosser von der US-Bank JPMorgan in einem Kommentar zum deutschen Labor- und Pharmaausrüster Sartorius . Dessen Vorzugsaktien gewannen 0,4 Prozent, wobei sie auch von einer Hochstufung durch die Bernstein-Analystin Delphine Le Louet profitierten. Anleger könnten bei Sartorius auf beschleunigte Investitionsausgaben in der Pharmabranche und auf Margenwachstum setzen, schrieb sie. Merck KGaA legten ebenfalls um 0,4 Prozent zu.
Erleichterung herrschte auch unter Anlegern in der Chipbranche, da die Unsicherheit nun ein Ende hat. Zudem seien Produkte der Chipindustrie-Ausrüster als "strategisch" bewertet und daher mit einem "Null-für-Null-Zoll" belegt worden, sagte JPMorgan-Analyst Sandeep Deshpande. Als weiterer Antrieb kam ein milliardenschwerer Auftrag des Elektroautobauers Tesla an Samsung hinzu. Infineon erholten sich an der Dax-Spitze mit plus 1,4 Prozent von den deutlichen Kursverlusten der vergangenen Woche. Aixtron stiegen um 2,5 Prozent und Suss Microtec gewannen 4,5 Prozent.
Die Anteilscheine von ProSiebenSat.1 sprangen mit plus 11,7 Prozent an die Spitze des Nebenwerteindex SDax . Der italienische Berlusconi-Konzern MediaForEurope erhöhte sein Übernahmeangebot für den deutschen Medienkonzern. Analyst Daniel Kerven von JPMorgan hob sein Kursziel an und gibt sich überzeugt, dass die Übernahme für alle attraktiv sei: für die Fernsehzuschauer ebenso wie für die Werbetreibenden und die Aktionäre beider Unternehmen./ck/he
--- Von Claudia Müller, dpa-AFX ---