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Warum Bidens erste Amtszeit seine letzte bleiben muss

Am 1. März wird sich US-Präsident Joe Biden kräftig auf die Schulter klopfen. In seiner Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress wird er sich alles zuschreiben, was im Lande gerade richtig läuft: das stärkste Wirtschaftswachstum und den schnellsten Fall der Arbeitslosenrate seit Jahrzehnten, kräftige Lohnsteigerung, sinkende Kinderarmut und eine Konkursrate auf Fünfzehnjahrestief.

Kein Präsident vor ihm hat im ersten Amtsjahr derartige Summen zum Segen des Wahlvolks genehmigt. Auf ein 1,9-Bio.-$-Covid-Hilfspaket folgte ein 1,2-Bio.-$-Infrastrukturpaket. Während Russland damit droht, in der Ukraine einzumarschieren, kann Biden zudem den Anführer der freien Welt markieren. Hat der Mann aus Delaware, der vor einem Jahr mit dem Versprechen angetreten ist, die Pandemie zu beenden, die Wirtschaft wiederzubeleben und die Nation zu einen, seine Ziele also bereits erreicht? Mission accomplished? Morning in America? Mitnichten.

Trotz der Jubelmeldungen sind Bidens Umfragewerte dramatisch abgestürzt. Kein Präsident seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – Querschläger Donald Trump ausgenommen – war nach seinem ersten Jahr in der Öffentlichkeit derart unten durch. In einem Wahljahr, in dem im November das Parlament weitestgehend neu bestimmt wird, ist das verheerend für Bidens Partei, die Demokraten. Sie werden ihre Mehrheit in beiden Kammern an die Opposition, die Republikaner, verlieren.

Die Amerikaner sind pessimistisch

Das grundlegende Problem Bidens ist, dass die Lebenswirklichkeit vieler Amerikaner schlicht nicht der Normalität entspricht, die er wiederherzustellen gelobt hat. Die riesigen Ausgabenprogramme haben mit dafür gesorgt, dass die Inflation auf ein Vierzigjahreshoch gestiegen ist. Sie frisst das Lohnwachstum auf. Die amerikanischen Konsumenten spüren das täglich – beim Tanken, wenn sie Lebensmittel einkaufen, Miete oder Heizkosten bezahlen. Laut dem staatlichen Zensusbüro haben 72 Mio. Menschen im Land Schwierigkeiten, ihre monatlichen Rechnungen zu begleichen.

Gemäss Umfragen ist fast die Hälfte der Amerikaner besorgt um ihre Finanzen und pessimistisch, was die Zukunft anbelangt. Das hat vor vierzig Jahren zuletzt einen Präsidenten aus der Demokratischen Partei die Wiederwahl gekostet: Der glücklose Jimmy Carter sollte für Biden eine Lehre sein. Aussenpolitische Krisen trieben damals den Ölpreis in die Höhe. Heute hat die Ukrainekrise laut den Analysten von BCA Research ebenfalls das Potenzial dazu, was die Inflation nur noch schlimmer machen könnte.

Die Stimmung im Volk hängt aber nicht nur an der Teuerung. Rücksichtloses Verhalten, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Verbrechen vor allem mit Waffengewalt haben nach dem Ende der Lockdowns im ganzen Land stark zugenommen. Viele Bürger sind frustriert mit einem Staat, in dem vieles schlicht nicht zu funktionieren scheint. Diesen Frust bekommt immer der Mann ganz oben ab. Dabei verlaufen Bidens Umfragewerte erstaunlich kongruent mit der Entwicklung der Pandemie. Er begann im Hoch mit forcierten Impfkampagnen und einem Virus vermeintlich auf dem Rückzug. Dann kamen die Deltavariante und zeitgleich Bidens chaotischer Abzug aus Afghanistan. Sein öffentliches Ansehen stürzte ab. Omikron versetzte ihm einen weiteren Schlag und entlarvte das Fehlen einer Teststrategie der Regierung.

Es herrscht eine Vertrauenskrise

Das reichste Land der Welt hat im dritten Pandemiejahr nun mehr Tote pro 100’000 Einwohner zu beklagen als jedes andere entwickelte Land der Erde. Das medizinische Fachmagazin «The Lancet» hat kürzlich dafür eine statistisch wohlgestützte Erklärung geboten: Dort, wo Vertrauen herrscht, hat Corona weniger Verwüstungen angerichtet. Eine erschreckend grosse Zahl von Amerikanern vertraut ihrer Regierung aber nicht, wenn diese empfiehlt: Lasst euch impfen.

In den USA ist das Vertrauen seit dem Hoch 1964 ständig gesunken. Weniger Amerikaner – nur noch vier von zehn – vertrauen der Regierung heute als seinerzeit direkt nach Watergate (1974). Das hat auch mit der tiefen politischen Spaltung zu tun. Wähler der Demokraten vertrauen der Regierung nicht, wenn ein Republikaner im Amt ist, und umgekehrt. So hat sich ein erschreckend hoher Anteil von 40% der erwachsenen Anhänger der Republikanischen Partei bis heute nicht impfen lassen. Das verzögert die Rückkehr zur Normalität – Wirtschaftswachstum hin, Vollbeschäftigung her.

Doch Biden scheitert nicht nur an der Opposition, sondern auch an der eigenen Partei. Sein politisches Vermächtnis sollte die Verabschiedung eines Monsterwerks namens Build Back Better (BBB) werden. Über 2 Bio. $ hätten in den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft und den Ausbau des dürftigen Sozialsystems fliessen sollen. Biden verglich sich darob selbst schon mit Franklin Roosevelt und dessen New Deal. Doch BBB ist tot, gescheitert am Widerstand eines einzigen demokratischen Senators, Joe Manchin, in einer Parlamentskammer, in der es für die Demokraten auf jede Stimme ankommt.

Zwar lässt es sich über Manchin schimpfen, doch zugleich ist Biden schlicht Versagen vorzuwerfen. Der Mann, der sich im Wahlkampf als Meisterverhandler gerierte, weil er selbst 36 Jahre im Senat gesessen hatte, musste wissen, wie vermessen es war, mit der denkbar dünnsten politischen Mehrheit ein derart weitreichendes Vorhaben durchsetzen zu wollen. Seine Absichten so weit anzupassen, dass er nicht nur Manchin, sondern auch moderate Stimmen aus der tief gespalteten Republikanischen Partei hätte gewinnen können, fiel ihm nicht ein. Im Gegenteil sprach er sich dafür aus, die Abstimmungsregeln im Senat so zu ändern, dass seine Agenda leichter durchgedrückt hätte werden können. So überwindet man keine nationalen Gräben. Diese Haltung verheisst Stillstand, wenn die Demokraten im November im Senat oder auch im Repräsentantenhaus die Mehrheit verlieren könnten.

Wie die Präsidentschaft noch zu retten ist

Soll diese Präsidentschaft noch eine grosse werden, braucht sie jetzt einen Neustart. Der muss mit einem wichtigen Schritt beginnen: Biden muss ankündigen, für eine zweite Amtszeit nicht mehr anzutreten. Mit 79 Jahren ist er der älteste Präsident aller Zeiten. Am Anfang der zweiten Amtszeit wäre er 82, am Ende 86. Er hat regelmässig Aussetzer, verwechselt Leute, verhaspelt sich in fast jedem zweiten Satz. Als Grossvater würde man ihn als rüstig und rührend bezeichnen. Als Anführer der weltgrössten Volkswirtschaft und Militärmacht macht er einem Sorgen. Selbst seine eigenen Leute bekommen es mit der Angst zu tun, wenn er vom Manuskript abweicht.

Wenn Biden jetzt auf eine zweite Amtszeit verzichtete, dann würde er zwar für kurze Zeit als lahme Ente bezeichnet, doch böse Zungen behaupten, das sei er jetzt schon. Danach aber könnte er sich gestärkt und ohne den Energieaufwand für eine Wiederwahlkampagne um die wirklichen Probleme des Landes kümmern. Bis zum Ende seiner Amtszeit wird Covid wahrscheinlich endemisch sein und die Inflation nachgelassen haben. Biden könnte Letzteres unterstützen, indem er die Lieferkettenprobleme angeht, zum Beispiel durch den Ausbau der Häfen, den Aufbau neuer Transportwege oder die Ansiedlung neuer Chipfabriken.

Um die Integrität der Wahlen im Land zu schützen, die einige Trump-Anhänger in den Einzelstaaten gerade per Gesetz schwächen wollen, muss der Präsident eine praktikable Wahlrechtsreform auf die Beine stellen. Dabei könnte er den politischen Graben überbrücken und moderate Republikaner mit ins Boot holen, die es vor Trump nach wie vor schaudert. Durch eine neue Form der überparteilichen Zusammenarbeit wären am Ende sogar Teile von BBB zu retten. Für alle diese Vorhaben kann eine Amtszeit vollkommen ausreichen. Auch dafür bietet die Geschichte ein gutes Beispiel: George Bush senior hat in vier Jahren mehr erreicht als sein Nachfolger Bill Clinton in acht. Biden sollte sich weniger bemühen, Roosevelt nachzueifern, und stattdessen versuchen, mehr wie Bush senior zu sein.